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Kino Review: „Victoria“

Victoria (Sebastian Schipper, DEU 2015)

Nach all den Vorschusslorbeeren, die Victoria Anfang des Jahres auf der Berlinale einsacken konnte, waren meine Erwartungen naturgemäß sehr hoch. Ich war bereit, mich endlich (bzw. mal wieder) vom deutschen Film überzeugen zu lassen, und das nicht nur auf handwerklicher Ebene. Ich wollte mich begeistern lassen – doch leider, leider hat Victoria das nicht geschafft.

https://i0.wp.com/www.moviepilot.de/files/images/movie/file/11237924/Poster_Victoria.jpgQuelle: moviepilot.de

Das große Alleinstellungsmerkmal von Victoria – das sollte mittlerweile bekannt sein – ist seine Machart: knapp 140 Minuten Laufzeit, die in einer einzigen Einstellung gedreht wurden. Das verdient erst mal eine Menge Respekt. Es wirkt wie eine dieser (gut gemachten) Straßenreportagen, wenn die Kamera der titelgebenden Dame – eine junge Spanierin, die versucht, sich in Berlin ein neues Leben aufzubauen – ohne Schnitt von der ersten bis zur letzten Sekunde des Films folgt. Größtenteils in Nahaufnahme, immer wackelig, trotzdem (oder gerade deshalb) wirkt das alles organisch und überzeugend. Es liegt in der Natur der Machart, dass man als Zuschauer stets den Überblick behält. Dass sich die Kamera dabei aber so natürlich in das Geschehen einfügt und dass einem (zumindest beim ersten Mal) keine groben Fehler in der Inszenierung auffallen, ist schon äußerst beeindruckend.
Auch auf die Gefahr hin, dass das jetzt nach der typischen deutschen Kulturkritik aussieht: Schippers Werk ist zumindest handwerklich ein extrem beeindruckender Film, den man sich schon allein deshalb ansehen sollte.

Jetzt jedoch zum großen „Aber“: Victoria ist nicht der „wilde Ritt“*, nicht der vor „Energie und Unmittelbarkeit berstende Film“*, als den ihn mir die Pressestimmen verkaufen wollten. Was unter anderem daran liegt, dass es erst einmal eine geschlagene Stunde braucht, bis tatsächlich Spannung aufkommt. Das soll jetzt nicht falsch verstanden werden: es ist löblich, dass sich Schipper genug Zeit nimmt, seine Figuren zunächst so stark zu aufzubauen – und das gelingt ihm sowohl in den ersten 60 Minuten Echtzeit, als auch darüber hinaus noch extrem gut. Sehr bald hat er aus den eigentlichen Asypmpathen greifbare Charaktere gemacht, mit denen man zwar nicht unbedingt rumhängen will, denen man aber zumindest gerne durch diese eine Nacht folgt. Und wenn dann endlich einmal die Handlung ins Rollen kommt und der Film endlich Tempo aufnimmt, ist die Neugier auch geweckt und man möchte bis zum Ende dranbleiben.

Doch trotzdem ist das alles viel unspektakulärer und nicht ansatzweise so mitreißend, wie ich es mir erhofft hatte. Victoria erzählt eine typische Kleinganoven-Story, die zwar stringend, in sich schlüssig und abgeschlossen, sowie wendungsreich ist – aber eben auch sehr vorhersehbar. Im Prinzip wird hier inhaltlich kaum bis nichts Neues geboten, selbiges gilt für die Schauplätze, die man so aus jedem anderen Coming-of-Age-Films kennt.
Nun macht das ja einen Film nicht per se schlecht. Und in speziell diesem Falle unterstreicht es noch einmal die Absicht der Macher, ein möglichst authentisches (Teil)Bild von Berlin und dessen Bewohnern zu liefern, wozu – auch das muss man lobend hervorheben – die gut gezeichneten Figuren nicht minder beitragen. Die sind glücklicherweise nicht die Abziehbilder, die man den meisten artverwandten Filmen vorfindet.

Dennoch – und ich schreibe das absolut meinem subjektiven Geschmack zu – bleibt mir das Ganze dann doch ein wenig zu sehr am Boden. Es fehlt das letzte Quäntchen künstlerischer Freiheit oder eher: Freigeistigkeit; die letzten Funken Spannung und Energie, die den Zuschauer einsaugen und die Victoria zu einem richtig, richtig guten Film gemacht hätten. Letztlich verschenkt er dieses Potenzial (möglicherweise auch durch seine Laufzeit) und am Ende musste ich das Kino mit der Erkenntnis verlassen, dass dieses ganze One-Take-Ding leider gar nicht zur inhaltlichen Ebene beigetragen konnte. Auch wenn dieser Vergleich hinkt: einem Birdman gelingt gerade dieser eine Aspekt wesentlich besser.
Eine Sache, an der ich zum Schluss aber noch mal richtig rummeckern muss, sind die Untertitel: die sind im fertigen Film leider nicht – wie der Trailer suggeriert – stets individuell ins Bild eingebunden, sondern ganz normale, langweilige Bildunterschriften.

Ich weiß nicht, ob es am überschwänglichen Kritikerlob lag oder ob meine Aversion gegen deutsche Filme einfach doch zu stark ist. Ich war ja bereit, mich begeistern zu lassen von einem Werk, das aus der Masse der Schweiger/Schweighöfer-Filme und den ewig gleichen Krimis herausstechen und das deutsche Kino so „nachhaltig durchrütteln“* sollte. Er schaffte es bei mir einfach nicht. Was bleibt, sind Enttäuschung, größtmöglicher Respekt für Kamera- und Tonleute und die Hoffnung, dass Victoria einer dieser Filme ist, die in der persönlichen Erinnerung noch nachreifen.

* Alle Zitate sowie deren Quellen sind im eingebetteten Trailer nachzulesen.

4 Kommentare zu „Kino Review: „Victoria“ Hinterlasse einen Kommentar

  1. Ich muss dir Recht geben, dass die Aussagen im Trailer etwas zu hochtrabend sind. Aber diese Aussagen sind aus Kritiken entnommen. Ich hab mich auch sehr gewundert, als in der Kritik vom Hollywood Reporter Frederick Lau mit einem jungen Marlon Brando verglichen wurde. (Man kann auch übertreiben.) Kritikausschnitte im Trailer sind immer verdächtig. Manchmal stehen auch nur einzelne Worte („atemberaubend“, „innovativ“..) im Trailer. Und in der Ursprungskritik könnte der Satz auch „Der Film ist weder atemberaubend noch innovativ.“ gelautet haben, aber als Zuschauer kann man das nur durch Überprüfung herausfinden. Aber wer macht sich denn wirklich die Mühe?

    Die erste Hälfte von VICTORIA (zarte Großstadtliebe) fand ich außerordentlich gelungen, die zweite Hälfte (Banküberfall) hat sich dann etwas in die Länge gezogen. Insgesamt aber trotzdem ein hammermäßig guter Film, den man auch im Ausland ohne Scham herumzeigen kann. (Ich habe mal mit einer französischen Kommilitonin SCHUH DES MANITU geschaut. Sie hat mich hinterher verwirrt angeschaut und gemeint: „Und das war einer der erfolgreichsten deutschen Filme?“)

    Hier meine Review: https://filmkompass.wordpress.com/2015/04/11/victoria-2015/

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    • Ich will das ja nicht nur auf die Zitate beschränken, weiß ja, dass da gerne mal einfach nur ein positives Wort entnommen wird, um den Film zu bewerben. Aber auch insgesamt hab ich so viel Gutes über den Film gehört, v.a. In Podcasts usw. Und deren Meinung kann ich leider nicht teilen. Ist ja auch kein Verriss, ist aber einfach meinen Erwartungen nicht gerecht geworden 😦

      Gefällt 1 Person

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