Kritik: „Erinnerungen an Marnie“ – Schlussakkord in Moll
Erinnerungen an Marnie hat eine schwere Bürde zu tragen. Als „vorerst letzter Film des legendären Studio Ghibli“ wird er beworben und das ist angesichts solch großer (Chihiro, Prinzessin Mononoke) wie auch kleiner Meisterwerke (Totoro, Kikis kleiner Lieferservice, Ponyo) ein Satz, der tatsächlich ein wenig schmerzt. Seit einigen Wochen ist Erinnerungen an Marnie nun für’s Heimkino erhältlich – und ist auch ohne Mastermind Hayao Miyazaki zwar ein sehenswerter, aber leider kein überragender Film geworden.
Unbeschwerliches Coming of Age-Märchen
Anna ist zwölf Jahre und eine introvertierte Einzelgängerin. Statt mit anderen Kindern zu spielen, sitzt sie lieber für sich allein und widmet sich ihrem Zeichenblock. Dass sie obendrein noch an Asthma leidet, macht ihr Leben natürlich nicht einfacher. Eines Tages beschließt ihre Mutter, dem Rat des Arztes zu folgen und Anna über den Sommer zu Bekannten auf’s Land zu schicken, damit sie einmal frische Luft durchatmen kann. Aber auch dort will Anna keinen richtigen Anschluss finden. Bis sie auf Marnie trifft, ein Mädchen, das unter mysteriösen Um-ständen auftaucht und mit der sie sich auf Anhieb bestens versteht.
Erinnerungen an Marnie gehört zu den „realistischeren“ Ghibli-Filmen: statt einer fantastischen Welt voller Fabelwesen und Magie bedient sich der Film eines alltäglichen Settings mit ganz normalen, liebenswerten Figuren.
Okay, gänzlich wird dann zwar nicht auf Übernatürliches verzichtet. Das überschreitet dann jedoch niemals eine Grenze, die nicht auch für westliche Sehgewohnheiten verträglich wäre. So bewegt sich Erinnerungen an Marnie zwischen Märchen, Coming of Age-Story und Familiendrama. Und das überwiegend mit einer angenehmen Leichtigkeit und Unbeschwertheit, die erst in den letzten Minuten in wirkliches Drama umschlägt.
Der letzte Funke Magie fehlt
Anna ist dabei – ganz Ghibli-untypisch – nicht direkt ab Anfang die größte Sympathieträgerin, sondern bleibt für einige Zeit recht ungreifbar, was im Laufe der Handlung jedoch langsam aufgebrochen wird. Dennoch fehlt es ihr ein wenig an markanten Eigenschaften und Eigenarten. Gerade im Vergleich mit den Hauptfiguren der prominenteren Ghibli-Werke (siehe oben) kann Anna weder herausstechen noch begeistern.
Das gilt leider auch für den Film an sich. Erinnerungen an Marnie lässt den typischen Ghibli-Zauber vermissen – dafür ist er zu bodenständig, zu sehr aus dem Leben gegriffen, zu un-fantastisch. Alles Aussagen, die per se keinen schlechten Film machen und zugegeben: das ist Erinnerungen an Marnie auch keineswegs. Und doch fehlt hier das eine entscheidende, faszinierende Element, das den Zuschauer packt und verzaubert. Mein Nachbar Totoro hatte Totoro, Ponyo seine Wassergeister, und Chihiros Reise ins Zauberland war ohnehin voll davon. Erinnerungen an Marnie hat zwar Marnie, die kann diesen Platz jedoch nicht einmal ansatzweise ausfüllen.
Aber wie gesagt ist er deswegen noch lange kein schlechter Film – und auch kein schlechter Ghibli-Film. Im Gegenteil: gerade seine Leichtigkeit und Bodenständigkeit sorgen für ein angenehmes Filmerlebnis, das mit etwa 100 Minuten Laufzeit überdies noch schön kurzweilig ist. Und das tolle Ende weiß nicht nur zu überraschen, sondern auch zu berühren – womit wir wieder bei den alten Stärken der japanischen Animeschmiede wären.
Fazit
Erinnerungen an Marnie ist leider nicht der großartige Abschluss geworden, den ich mir erhofft hatte. Ein letztes Mal das typische Ghibli-Feeling zu vermitteln, das gelingt dem Film nur bedingt. Klammert man dieses Erbe allerdings aus, bleibt immer noch ein guter Anime übrig, den sich jeder halbwegs Japanophile bedenkenlos zulegen kann. Noch besteht ja Hoffnung, dass er wirklich nur der vorerst letzte Ghibli-Film ist.
Erinnerungen an Marnie ist seit dem 11. März 2016 auf DVD und BluRay erhältlich.
Bilder & Trailer: (c) Universum Film
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