Kritik: „The Lobster“

Kann Liebe erzwungen werden? Jeder gesunde Mensch sollte die Antwort darauf kennen. Und trotzdem ist aus dieser Frage ein Film entstanden, der das Potential zu einem wahren Genrekultfilm hat: The Lobster.
Es gibt diese Filme, die verdienen es, allein aufgrund ihrer skurrilen Prämisse unter allen Umständen gesehen zu werden. Umso besser, wenn es sich dabei auch um einen wirklich guten Film handelt. The Lobster ist so ein Fall. Die erste internationale Produktion des griechischen Regisseurs Yorgos Lanthimos (Dogtooth) wartet nicht nur mit einer kleinen Starbesetzung, sondern auch mit einem herrlich subversiven Kommentar über Liebe, Einsamkeit und traditionelle Familienbilder auf.
Lieb oder stirb
Falls jemand in den letzten zwei Jahren, in denen The Lobster bereits von so vielen Seiten als potentielles Highlight erwartet wurde, noch nichts von seiner schrägen Grundidee gehört gehört hat, hier eine kurze Zusammenfassung: in der Welt dieses Films sind Einsamkeit und Single-Dasein verboten. Wer ohne Partner erwischt wird, bekommt die Chance, in einem speziellen Hotel innerhalb von 45 Tagen seine große Liebe zu finden. Gelingt dies nicht, wird der- oder diejenige in ein Tier seiner bzw. ihrer Wahl verwandelt. Auch David (Colin Farrell) gehört zu diesem elenden Häufchen von Unglücklichen. Nachdem ihn seine Frau verlassen hat, wird er in besagtem Hotel einquartiert und entscheidet sich dafür, ein Hummer zu werden, falls die Partnersuche erfolglos bleibt.
Die erste Frage, die sich hier aufdrängt – Wie kommt man auf so etwas? – will ich an dieser Stelle nicht beantworten, da das wohl schlicht nicht möglich ist. Bei der zweiten Frage, nämlich ob daraus ein guter Film entstanden ist, fällt das wesentlich leichter: Ja, und zwar ein sehr guter. Denn Lanthimos treibt uns hier nicht nur durch ein Wechselbad der Gefühle; man spürt auch, dass er etwas mitzuteilen hat, was ihm virtuos gelingt, ohne den Zuschauer mit der Nase darauf zu stoßen. In tristen, entstättigten Farben wird das Schicksal eines Mannes präsentiert, der – im Tiefsten verletzt und von der Liebe enttäuscht – dazu gezwungen wird, sich dem Familienbild einer Gesellschaft zu beugen, die laut eigener Aussage zwar nur das Beste für ihre Mitglieder will, dabei jedoch im bürokratischen Wahn die Glückseligkeit eines jeden Einzelnen auf rationale Kriterien reduziert.
Wie absurd das alles letztlich ist, zeigt sich bereits in einer der frühesten Szenen: Als David in das Hotel eincheckt, wird gefragt, ob er denn als Hetero- oder Homosexueller erfasst werden soll (immerhin ist letzteres überhaupt möglich). Er entgegnet – mit Hinweis auf eine homosexuelle Erfahrung in seiner Jugend – ob er denn auch als bisexuell eingetragen werden könne, was mit dem Hinweis auf verwaltungstechnische Kompli-kationen in der Vergangenheit abgelehnt wird. Er müsse sich schon entscheiden.
Die Rationalisierung des Irrationalen
Es sind zwei Weisheiten, die die erste Hälfte des Films bestimmen und die jedem, der längere Zeit partnerlos war, bekannt sein sollten. Erstens: Wer mit aller Macht nach Liebe sucht, wird keine finden. Zweitens: Allein zu sein ist auch okay. Wem dies (noch) nicht bewusst ist, dem wird die perverse Rationalisierung dieses absolut irrationalen Prozesses namens Liebe wohl nur ansatzweise so sauer aufstoßen, wie denjenigen, die das aus eigener Erfahrung kennen.
Das große Kunststück von The Lobster besteht jedoch darin, sich nicht darauf zu beschränken, sondern diesen Ansatz in seiner zweiten Hälfte ins Gegenteil zu verkehren. David findet nämlich seine Liebe, allerdings erst in einer Subgesellschaft von ausgestoßenen Einzelgängern, die jeglicher Romantik entsagt haben und diese sogar bestrafen. Die Liebe kommt eben genau dann, wenn man sie nicht erwartet – oder wenn sie, wie im Fall von David, nicht gestattet ist. Und es wird deutlich: Das eine Extrem ist ebenso unlebenswert wie das andere.
Diese Erkenntnisse gewinnt der Film zum Glück nicht aus bedeutungsschwangeren Mono- oder Dialogen, sondern aus dem vergleichsweise wortkargen und nicht immer nachvollziehbaren Verhalten seiner unnahbaren Figuren. The Lobster will kein authentisches Drama mit glaubwürdigen Charakteren sein: Er ist ein absurdes Gedankenexperiment, das uns in eine ebenso faszinierende wie furchterregende Welt entführt.
Auch ist er weder (proto)typischer Liebesfilm noch Komödie – und hat dennoch sowohl auf romantischer als auch humoristischer Ebene enorm viel zu bieten. Vor allem letztere sticht positiv heraus: Subtile, schwarze Situationskomik (bei der man nie so genau weiß, ob das nun freiwillig oder unfreiwillig witzig sein soll) wechselt sich mit dem absurden Gesten- und Mimikspiel seiner Darsteller ab. Der Humor von The Lobster erschließt sich nur, wenn man der Geschichte aufmerksam folgt und unter ihre Oberfläche zu blicken vermag.
Fazit
In seiner Gesamtheit ist The Lobster zwar nicht der skurrilsten Film der letzten Jahre – gründet aber auf einer der fraglos skurrilsten Prämissen der jüngeren Vergangenheit, aus welcher sich ein schlüssiger Streifen ergibt. Und genau das ist eine der größten Stärken des Films: Statt sich in einer Aneinanderreihung absurder Mindfucks zu verlieren, folgt er – ausgehend von seiner Grundidee – einem kohärenten Storyfaden. Das macht ihn zu einem tiefgründigen Gedankenexperiment, das Fragen über Liebe und Einsamkeit aufwirft – und diese zum Teil sogar beantwortet. Ein äußerst sehenswerter, ungewöhnlicher Liebesfilm, der es problemlos mit Vergleichsgrößen wie Eternal Sunshine of the spotless Mind aufnehmen kann.
The Lobster ist seit dem 28. April 2016 für’s Heimkino verfügbar und läuft ab dem 23. Juni 2016 in ausgewählten Kinos, so auch im Luru Kino in der Spinnerei Leipzig, bei der ich mich herzlich für das Rezensionsexemplar bedanken möchte.
Bilder & Trailer: (c) Sony Pictures Entertainment
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