Kritik: „The Assassin“

The Assassin (Cìkè Niè Yǐnniáng, Hou Hsiao-Hsien, TWN/CHN/HKG 2015)
Im taiwanesischen Auftragskiller-Drama The Assassin sterben entgegen des Titels nur sehr wenige Menschen. Dafür droht vor allem einer umzukommen: der Zuschauer. Und zwar vor Langeweile.
Als Filmkritiker – auch als Hobbykritiker – sieht man sich immer wieder damit konfrontiert, seinen persönlichen Geschmack mit einer möglichst objektiven Betrachtung des Kritik-gegenstandes abwägen zu müssen. (Es soll an dieser Stelle nicht debattiert werden, ob man einen Film überhaupt „objektiv“ beurteilen kann – vermutlich eher nicht.) Doch was macht man, wenn beides überhaupt nicht zusammen kommen will? Wenn man die Schwä-chen sieht, der Film einen aber abso-lut anspricht – oder eben das umge-kehrte Verhältnis der Fall ist? Entscheidet man sich für eine Kompromisswertung oder gibt man einer Seite nach?
An den Grenzen des subjektiven Geschmacks
Diese kleine Einleitung ist notwendig, um den nachfolgenden Text nicht zum willkürlichen Rant verkommen zu lassen. Und um deutlich zu machen, dass man die möglichen Qualitäten des folgenden Films durchaus schätzen, sodass das finale Urteil gänzlich anders ausfallen kann. Persönlicher Geschmack hat aber immer Grenzen – und meine wurden beim Kinobesuch von The Assassin zweifellos überschritten
Wer auch immer euch erzählen will, The Assassin sei ein Martial-Arts-Film, der lügt. Und zwar auf’s dreisteste. Was hier präsentiert wird, ist ein glasklares Familien- und Historien-Drama im China des 9. Jahrhunderts. Politische Intrigen sind an der Tagesordnung und mittendrin steckt die Assassinin Nie Yinniang (Shu Qi), deren nächster Auftrag die Ermordung ihres eigenen Cousins ist. Doch Nie Yinniang erwies sich schon bei einem früheren Attentat als zu empathisch und weichherzig, weshalb auch dieses nicht so glatt verläuft, wie es sich ihre Meisterin vorgestellt hat.
Alles, was danach passiert, ist eine Ansammlung extrem dünner, lose verknüpfter Ereig-nisse und Handlungslinien, die entweder vollkommen egal oder unverständlich sind. Dem Plot zu folgen, ist ein anstrengender, beinahe quälender Akt, was nicht nur an den (für Westeuropäer traditionsgemäß) schwer unterscheidbaren Namen liegt. The Assassin ist nämlich auch alles andere als mitreißend erzählt und wartet mit mit einer übermäßig hohen Zahl – es lässt sich nicht anders sagen – inhaltsleerer und zusammenhangsloser Szenen auf.
In einer davon sieht man eine (unbekannte) maskierte Dame elegant zwischen einigen Bäumen umher schlendern. Eine halbe Stunde später kehren wir zu diesem Schauplatz zurück, die Heldin erscheint, kreuzt kurz die Klingen mit ihr und verschwindet dann wieder, ohne dass irgendetwas passiert oder gesagt worden ist, Konsequenzen für den Plot hat das auch nicht. Zurück bleiben stattdessen bloß Fragezeichen. Dass die Bedeutung der Protagonisten für die Handlung gen null tendiert, ist da schon beinahe egal.
Wunderschöne, aber leere Bilder
Man muss nicht sonderlich filmerfahren sein, um schon früh zu verstehen, dass The Assassin aber auch gar nicht auf inhaltlicher, sondern formaler Ebene begeistern will. Und zumindest das muss man ihm zugestehen: Die Bilder, die hier eingefangen wurden, sind durchweg wunderschön. Sämtliche Panorama- und Innenraumaufnahmen punkten mit intensivem Farbspiel und formschöner Bildkomposition. Hier ist tatsächlich – um den Titel eines gewissen YouTube-Kanals zu gebrauchen – every frame a painting: Jede Einstellung ist ein Gemälde.
Diese Analogie ist allerdings in doppelter Hinsicht passend. The Assassin ist die filmische Umsetzung eines Museumsbesuches – und ein dröges und langatmiges (Anti-)Erlebnis, das seinesgleichen sucht. Langsames und wortloses Erzählen kann eine Wohltat sein, Nicolas Winding Refn-Fans wissen das. Doch es gibt einen Unterschied zwischen Filmen, die dadurch Spannung aufbauen, und solchen, die das derart ins Extreme steigern, dass sie einfach nur einschläfernd sind. The Assassin fällt in letztere Kategorie.
Fazit
Nein, The Assassin ist kein Martial-Arts-Film, nur weil es drei, vier kurze Kampfszenen gibt. Er ist auch nicht „atemberaubend“ oder „beeindruckend“ – außer vielleicht beein-druckend öde. Macht mich das zu einem oberflächlichen Kulturbanausen? Vielleicht. Übersehe ich (mal wieder) das offenbarende Element des Filmes? Möglicherweise.
Dabei hatte ich mich wirklich auf ein intensives asiatisches Kinoerlebnis gefreut. Bekom-men habe ich das Gegenteil. Und auch wenn The Assassin ein gefundenes Fressen für zahlreiche interpretative Deutungen sein wird (ich höre sie schon „Identitätssuche“, „Emanzipation“, „Auflehnung gegen tradierte Werte“ und ähnliches rufen), so müssten gerade diejenigen, die sonst jedem zweiten Blockbuster „Style over Substance“ vorwerfen, so konsequent sein, diese Phrase auch hier zu gebrauchen. Denn The Assassin ist letztlich nicht mehr als eine Ansammlung wunderschöner Bilder, zwischen denen sich gähnende Leere auftut. Deshalb will und muss ich mit der folgenden Wertung meiner ganz persönlichen Meinung Ausdruck verleihen, die sich auch in vier Worten salopp zusammenfassen lässt: Echt nicht mein Bier.
Bilder und Video: (c) Delphi Filmverleih
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