Kritik: „1/1“

1/1 (Jeremy Phillips, USA 2016)
Ein Leben endet, ein anderes beginnt: In 1/1 steht ein junges Mädchen an der Schwelle zum Erwachsenwerden. Ein sehenswertes Psycho- und Familiendrama, ästhetisch herausragend umgesetzt.
Angesichts der Welle an einfallslosen Remakes, Reboots und Fortsetzungen, die uns derzeit aus Richtung Hollywood überrollt, ist es umso wichtiger, den kleinen, unbekannten und debütierenden Filmemachern dieser Welt ein angemessenes Maß an Aufmerksamkeit zukommen zu lassen. Einer dieser Freshmen ist Jeremy Phillips, dessen Erstlingswerk 1/1 unter anderem auf dem diesjährigen Pop-Kultur-Festival in Berlin zu sehen ist. Ein Film, der mehr als nur einen beiläufigen Blick wert ist.
Inhaltliche Tiefe statt Breite
Die junge Lissa (Lindsey Shaw) steht an der Schwelle zu einem neuen Leben. Ihr jugendliches, von Drogen und Exzess geprägtes geht zu Ende, während sich allmählich die Zeichen des Erwachsenwerdens zeigen. Die-se Veränderung bekommt ihr jedoch alles andere als gut: zu früh und zu plötzlich geschieht all das, vor allem aber hat Lissa schwere familiäre Probleme und zudem immer noch nicht den Tod eines geliebten Mitmen-schen überwunden.
Ein kurzer und knackiger Plot, dessen Simplizität für die kurzweiligen 80 Minuten Laufzeit vollkommen genügt und darüber hinaus ein paar gute, wenn auch recht vorhersehbare Twists zu bieten hat. Die Handlung zeichnet sich aber vielmehr durch ihre Tiefe anstatt durch ihre Breite aus. 1/1 ist ein psychologisches Portrait seiner Hauptakteurin, das deren existenzielle Unsicherheit und Verwirrung nicht nur in treffende Worte fasst, sondern diese auch auf faszinierende Art visualisiert. Das kommt insbesondere in der ersten Hälfte des Films zum Tragen, die zu einer wilden, vieldeutigen und doch so eindrücklichen Collage aus Licht, Farben und Formen wird. Die geerdete Haupthandlung wird dabei immer wieder durch (alb)traumhafte Flashbacks und affektive Bilder durchtrennt – und zeichnet auf diese Weise das Bild einer jungen Erwachsenen, deren Leben aus der Bahn geworfen wurde.
Ein synästhetisches Erlebnis
Herausragend ist besonders der Einsatz des Soundtracks, den die Band Liars exklusiv produziert hat und der zeigt, wie effektiv eine enge Zusammenarbeit von Regisseur und Filmmusikkomponisten sein kann: Präzise auf den Takt gesetzte Schnitte und Bewegungen, synthetische Melodien, die die Stimmung der jeweiligen Szenen perfekt zu untermalen wissen – in seinen besten Momenten wird 1/1 zu einem hypnotischen, syn-ästhetischen Erlebnis.
Die zweite Hälfte ist radikal anders gestaltet. 1/1 kehrt die Probleme seiner Protagonistin nach außen, konfrontiert sie mit der Mutter (Dendrie Taylor) und entwickelt sich damit zu einem fast schon klassischen Familiendrama, das sich auf eine einzelne vollkommen intime und authentische Situation beschränkt, abermals unterbrochen durch Rückblicke, die vor allem Lindseys Vater in den Mittelpunkt rücken. Der wird wird verkörpert von Judd Nelson, der sich als absoluter Casting-Glücksgriff erweist. Nelson spielt minimal, subtil und vollkommen glaubwürdig und macht trotzdem (oder gerade deshalb) aus jeder seiner Szenen ein echtes Highlight.
(Falls sich jemand fragt, woher er dieses Gesicht kennt: 30 Jahre ist es mittlerweile her, dass Nelson den jeansjackentragenden Unruhestifter John Bender in John Hughes Breakfast Club gespielt hat.)
Fazit
1/1 ist ein bodenständiges Coming-of-Age-Drama mit interessanten, experimentellen audiovisuellen Ansätzen, das trotzdem kein bisschen verkopft oder prätentiös daher-kommt. Ein Film, dem man zwar anmerkt, dass er mit einem kleinen Budget auskommen musste, der das aber bestens zu nutzen weiß und zu keiner Zeit billig oder schlecht produziert wird – im Gegenteil. Wer eine stringent erzählte Geschichte braucht, der wird mit Jeremy Phillips Regiedebüt nicht warm werden. Wer hingegen Interesse an einem kurzweiligen und dennoch eindrücklichen Drama hat, sollte den hoffentlich bald folgenden DVD-Release im Auge behalten. Zumal 1/1 eine Menge Potential erkennen lässt: Ich bin gespannt auf das, was uns erwartet, wenn Phillips mal ein größeres Produktionsbudget in die Finger bekommt.
Das klingt nach was für mich und wird gleich vorgemerkt. Warum 1/1? Oder spoilert das zu sehr?
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Kein Spoiler – und so wirklich liefert der Film auch keine Erklärung dafür. Ist Interpretationssache, für mich ist es dieses „Ein Leben endet, ein anderes beginnt“. So würde ich das deuten 🙂
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Klingt noch spannender 😉
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