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Filme gesehen #122

Diese Woche mit Insomnia – Schlaflos, Nerve und Dogtooth.

Insomnia – Schlaflos (Insomnia, Christopher Nolan, USA 2002)
Die Lücke ist geschlossen: Mit Insomnia habe ich endlich den letzten Film von Christopher Nolan gesehen, der mir bisher gefehlt hatte – und das obwohl mein Lieblingsschauspieler Al Pacino die Hauptrolle darin übernimmt. Allerdings ist dieser Twin-Peaks-eske Thriller um den Mord an einem Mädchen auch Nolans schwächster Film. Angesichts der Qualität seiner anderen Werke ist das aber nicht mit „schwacher Film“ gleichzusetzen, im Gegenteil: Insomnia baut enorm viel Spannung auf, lässt den Zuschauer im Unklaren über seinen Ausgang (mal wieder zeigt sich hier, wie effektiv Nolan mit dem erzählerischen Faktor „Wissen“ umgehen kann) und rückt das innere Zerwürfnis seines Hauptakteurs gekonnt in den Mittelpunkt. Schuld und Unschuld, Sühne und Vergebung sind die zentralen Themen, um die sich hier alles dreht: Rechtfertigt der Zweck die Mittel? Sind falsche Taten, die aus den richtigen Absichten begangen werden, moralisch vertretbar? Das alles passt in Nolans Schema – im Gegensatz zum Look. Der erinnert stattdessen David Fincher. Egal, ein sehr sehenswerter Film ist Insomnia nichtsdestotrotz.
imdb / Trailer
4,5Nerve (Henry Joost/Ariel Schulman, USA 2016)
Was für eine interessante Idee, mit der Nerve ins Rennen geht: Ein neues Internet-Spiel stellt die Teilnehmer vor immer schwerere Herausforderungen, für deren Abschluss es ordentlich Geld gibt. Die Zuschauer können derweil entscheiden, wie die nächste Challenge aussehen soll. Ein junges Mädchen will nur mal reinschauen und stolpert schließlich in ein drastisches Finale, bei dem es um Leben und Tod geht. Inszenatorisch ist das Ganze beachtlich: Neon-Lichter und per Handy gefilmte Sequenzen sorgen für einen frischen Look. Und auch der Storyansatz ist toll, hätte ein schön kritischer Kommentar zum Hype um Internet-Prostitution in Form von Twitch und YouTube sein können. Hätte. Denn wenn eine solide Idee derart ausartet und auf Biegen und Brechen aufs Extreme hinausläuft, wobei innere (und äußere) Logik vollkommen flöten gehen, wird das Endergebnis zu einer Parodie seiner selbst. Jeder in der verdammten Stadt scheint dieses Spiel zu spielen – die Behörden jedoch scheinen sich nicht die Bohne dafür zu interessieren, dass hier permanent zu Straftaten aufgerufen wird. Werden die Gefahren der digitalen Technik derart überzeichnet, trägt das nur dazu bei, dass niemals ernsthaft darüber debattiert werden kann.
imdb / Trailer
2,0Dogtooth (Kynodontas, Giorgos Lanthimos, GRC 2009)
Der griechische Regisseur Giorgos Lanthimos scheint ein Faible für obskure Ideen zu haben. In The Lobster zeichnete er zuletzt das Bild einer Welt, in der Singles in Tiere verwandelt werden und Liebe zu einem bürokratischen Akt gemacht wird. Dogtooth ist da bodenständiger, doch gerade deshalb umso unheimlicher: Eine fünfköpfige Familie schottet sich in ihrem Haus von der Welt ab, die Eltern lassen ihre drei inzwischen erwachsenen Kinder nicht aus der Einfahrt, zeichnen ihnen ein Horrorszenario von allem, was fremd ist und nicht zur Familie gehört. Dogtooth geht sorgfältig mit Sprache um, lässt stattdessen seine Bilder für sich sprechen. Trockene Inszenierung trifft auf viel nackte Haut und Sex, beides verschmilzt zu einer bedrückenden Mixtur. Dieser Film ist eine metaphorische Goldgrube: Realitätskonstruktion, der prägende Einfluss der Eltern, Pubertät und Drang nach Freiheit, Sprache und Angst als Mittel der Unterdrückung. Einziges großes Manko ist das abrupte und wenig sagende Ende. Doch auch das bleibt – ebenso wie der Rest des Films – definitiv im Gedächtnis.
imdb / Trailer
5,0

7 Kommentare zu „Filme gesehen #122 Hinterlasse einen Kommentar

  1. Du hast Following vor Insomnia gesehen? Gibt es auch nicht so häufig.
    Wobei ich hier sagen muss, dass mir das norwegisch/schwedische Original besser gefallen hat. Nolan funktioniert bislang am besten, wenn er nach seiner eigenen Idee filmen kann.

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    • Oh mein Gott, ich muss alles zurückziehen, von Following wusste ich bisher gar nichts! ^^
      Das skandinavische Original kenne ich auch nicht, aber die sind ja in der Regel immer besser als ihre amerikanischen Remakes. Werde ich mir gleich auf die Liste packen

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  2. Ich muss sagen, ich kann bis heute nichts mit Dogtooth anfangen – was soll mir der Film sagen? Wie ist das Ende zu deuten? Warum ticken die Eltern so? Fragen über Fragen. Ich weiß nur noch, dass ich den Film zutiefst verstörend fand 😀

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    • Ob der Film irgendetwas konkretes zu sagen hat, wage ich auch zu bezweifeln. Für mich ist er vielmehr ein Sammelsurium an Anregungen und Gedankenspielen. In erster Linie zeigt er, dass Wirklichkeit nichts objektives ist, sondern etwas, das von anderen für einen selbst konstruiert wird und dass man sich – egal ob man das will – nicht gegen die Prägung der eigenen Eltern werden kann. Natürlich kann man darin auch eine Metapher für einen diktatorischen Staat sehen.
      Aber ja: Bzgl. des Endes und des Verstörungsfaktors stimme ich dir zu 🙂

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  3. „Dogtooth“ ist einer der merkwürdigsten, aber auch interessantesten Filme, den ich je gesehen habe. Sehr verstörend und faszinierend zugleich.

    „Insomnia“ mochte ich eigentlich auch sehr gern, müsste ich aber definitiv noch mal wieder gucken. Das war ja damals auch echt so ein bisschen die Phase, in der sich Robin Williams an etwas dunkleren Rollen ausprobiert hat (siehe „One Hour Photo“)

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