Kritik: „Get Out“

Get Out (Jordan Peele, USA 2017)
Ein Horror-Film über Rassismus oder ein Film über Rassismus im Horrorgewand? Wer mit den falschen Erwartungen in Get Out geht, könnte enttäuscht werden. Alle anderen genießen die metaphorische Tiefe dieses Streifens.
Das Horror-Genre leidet seit Jahren an einer Flut von Superlativen. Jedes zweite Release wird von irgendeiner Seite unter Garantie als „bester Horrorfilm seit Jahren“ bezeichnet – so auch Get Out. Und in der Tat könnte man diesmal ebenfalls arg enttäuscht werden, wenn man mit typischer B-Horror-Ware voller Jumpscares und Gore rechnet. So wie das Pärchen, das im Kino hinter mir saß und scheinbar einen dieser Streifen erwartete, bei denen man die Angst einfach weglacht bzw. -quatscht. Ein gewaltiger Fehler, denn Get Out lebt von einer zum Schneiden dichten Atmosphäre – und natürlich von seiner metaphorischen Tiefe.
Schwiegereltern-Horrortrip
Der erste Antrittsbesuch bei den Schwiegereltern ist (zumindest im Film) ja oftmals die Hölle. Im Falle von Chris (Daniel Kaluuya) ist das ganz wörtlich zu nehmen: Der Fotograf stolpert beim Ausflug zu den Eltern seiner Freundin Rose (Alison Williams) von einer merkwürdigen Situation in die nächste. Besonders auf dem jährlichen Familienfest wird Chris mit diversen Personen konfrontiert, die sich latent rassistisch zeigen – eher ein un- beziehungsweise unterbewusster Rassismus anstatt eines offensichtlichen. Genau darin liegt die Stärke dieses Films.
Anstatt auf die Entblößung von plakativen „Weiß > Schwarz“-Floskeln zu setzen, wird ein moderne Form des Rassismus zur Schau gestellt. „Schwarz ist das neue Weiß“, heißt es da. Seltsame Worthülsen („Schwarzer Schimmel“, „Anschwärzen“) machen deutlich: Irgendetwas schwelt hier im Hintergrund. Get Out baut eine unheimliche, paranoide Grundstimmung auf und lässt sich dafür – Gott sei Dank – ausreichend Zeit, auch da hier die richtigen Knöpfe gedrückt werden: Selten hat ein einziger Moment des Verstummens eine solche Beklemmung bei mir ausgelöst. Eine gute Stunde vergeht, bevor sich die Spannung entlädt und es zur unumgänglichen Eskalation kommt.
Metapher > Realismus
Was dann passiert, ist in gewisser Weise Geschmackssache. Einigen könnte der Film dann zu sehr in die Horror-Klischee-Ecke kippen, doch tatsächlich treibt das letzte Drittel alles zuvor Angedeutete gekonnt auf die Spitze. Der Realismus und die tatsächliche Umsetzbarkeit des Gezeigten müssen dabei ganz klar zurückstecken: Bei Get Out zählt die Metapher und das, was sie im Zuschauer auslöst. Wenn einem die schlussendliche Auflösung nicht zusagt, dann, weil sie mit dem, was wir aus Film und Fernsehen kennen, bricht.
Regisseur und Autor Jordan Peele – eigentlich bekannt als eine Hälfte des Comedy-Duos Key & Peele – zielt an dieser Stelle, wie auch an anderen, direkt auf den Zuschauer. Man wird immer wieder geradezu genötigt, sich zu fragen: Ist das rassistisch oder empfinde ich das nur als rassistisch? Und (unabhängig von der Antwort) denke ich vielleicht nur so, weil ich selbst ein wenig rassistisch bin? Ist Rassismus vielleicht ein grundlegender Bestandteil unseres Weltbildes, unseres Denkens?
Unfreiwilliger Anti-Held
Untermauert werden diese inhaltlichen Stärken durch eine stets gute, teils sehr gute Kameraarbeit und Soundkulisse sowie die fantastischen Schauspielleistungen. Zwar dürfen die Nebendarsteller in großer Zahl nur einfache, man möchte sagen: stereotype Figuren verkörpern. Das lässt sich aber verschmerzen, zumal alle und vornehmlich die beiden Hauptakteure schlichtweg großartige Arbeit leisten. Vor allem Daniel Kaluuya (Black Mirror) trumpft mit seinem Mimenspiel und diesen unfassbar expressiven Augen auf.
Gut auch, dass uns Jordan Peele keinen reinrassigen Helden auf die Leinwand klatscht. Chris ist nicht nur ein unfreiwilliger Held: Er zeigt ebenso dezent rassistische Tendenzen, die denen seiner Peiniger erstaunlich ähnlich sind. Rassismus prägt eben auch seine Opfer. Und so ist es kein Wunder, dass ausgerechnet das, was über Jahrhunderte symbolisch für die Unterdrückung der Schwarzen stand, zu seiner Rettung wird: Baumwolle.
Fazit
Die Fähigkeit zum Genuss eines langsamen, aber steten Spannungsaufbaus wird von Get Out vorausgesetzt. Wer das Unheimliche, das Verborgene, das Kafkaeske zu schätzen weiß, wird von der Stimmung in der ersten Stunde dieses Films eingesogen werden. Und wer dann noch die Dominanz der Metapher gegenüber der Glaubwürdigkeit akzeptieren kann, der wird auch beim Rest (an)gespannt im Kinosessel sitzen bleiben. Get Out ist beileibe nicht perfekt: Schwächen bei der Charakterzeichnung und eine gewisse Berechenbarkeit lassen das Potential für eine Höchstwertung schwinden. Was diesen Film – gerade in diesen Zeiten – aber so wichtig macht, ist die schlichte Tatsache, dass sich im Anschluss vortrefflich über seine Implikationen diskutieren lässt. Get Out ist weniger ein Horror-Film über Rassismus als vielmehr ein Film über Rassismus im Horrorgewand. Oder im Psycho-Thriller-Gewand. In jedem Fall aber ein sehr guter.
Kleiner Tipp: Man versetze sich einmal in die Lage eines Afro-Amerikaners, der sich diesen Film anschaut und überlege dann, wie wohl die Wirkung wäre.
Bilder & Trailer: Universal Pictures
Ich mochte den auch sehr. Gerade zu Beginn dieser langsame Spannungsaufbau war großartig.
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…und definitiv die stärkere Hälfte des Films, wobei ich auch die zweite sehr gut fand.
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