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Kritik: „Berlin Falling“

Berlin Falling (Ken Duken, DEU 2017)

Zwei Typen unterwegs nach Berlin mit einer Bombe im Gepäck. Schwer zu glauben, aber das ist ein deutscher Film. Und zwar einer, der man gesehen haben sollte.

Gerade mal drei Tage lang war Berlin Falling in 170 deutschen Kinos zu sehen – warum, das wissen nur der Geier und der Vertrieb. Das Zeitalter der künstlichen Verknappung ist eigentlich vorbei, sollte man meinen. Doch selbst, wenn dieser Marketing-Mechanismus funktioniert haben mag, ist es doch wirklich bedauerlich, dass du, lieber Leser, wenn du diesen Text hier liest, noch ein ganze Weile auf den Home-Release von Berlin Falling warten musst. Denn was Regisseur und Hauptdarsteller Ken Duken hiermit abgeliefert hat, ist einfach verdammt gutes Genre-Kino aus Deutschland.

Die simpelsten Ideen sind manchmal die besten. Berlin Falling beginnt mit einem Blick in das Schlafzimmer von Frank (Ken Duken). Der ist dem Alkohol verfallen, muss sich nun aber mal zusammenreißen, da seine Tochter, welche bei der Ex-Frau lebt, die Weihnachtstage bei ihm verbringen wird. Was zunächst wie ein typisches deutsches Sozialdrama anmutet, wandelt ganz schnell auf anderen Pfade. Auf dem Weg nach Berlin liest Frank den Anhalter Andreas (Tom Wlaschiha) auf, dessen Gepäck – im wörtlichen Sinne – explosives Potential hat.

Zum Fingernägel-Kauen
Mehr soll an dieser Stelle nicht verraten werden. Denn eine der großen Stärken von Berlin Falling ist seine Unberechenbarkeit: Dank toller Plottwist wird man ein ums andere Mal kalt erwischt, der Film wechselt die Richtung öfter, als manche ihre Unterwäsche. Selbst wenn sich nach einer Stunde alles aufzuklären scheint, weiß Berlin Falling noch immer zu überraschen. Daraus ergibt sich die zweite große Stärke: Spannung. Die ist stets hoch, erreicht stellenweise erschütternde Ausmaße und steht damit weit über dem, was das deutsche Kino sonst so zu Stande bringt. Der Ausgang bleibt bis zuletzt ungewiss.

Großes Lob muss man auch den Schauspielern aussprechen. Regisseur Duken nimmt selbst hinter dem Lenkrad des Wagens, in dem sich der Großteil des Films abspielt, und damit sowohl hinter als auch vor der Kamera Platz. Sein Frank mag zunächst als grober, unnahbarer Unsympath daherkommen, über den man anfangs nur Oberflächliches erfährt. Alles weitere entblättert sich sukzessive im Laufe der Handlung, erst nach über einer guten Stunde weiß man wirklich, mit wem man es hier zu tun hat.

Auf dem Beifahrersitz sieht das ganz ähnlich aus. Auch Wlaschihas Rolle, seine Ziele und seine Motivation bleiben bis zum letzten Drittel unklar, erste Hinweise führen erfolgreich in die Irre. „Irre“ ist dann auch das richtige Stichwort: Bereits im Mitteilteil zeigt Wlaschiha, wie beängstigend gut er den Wahnsinn seiner Figur nach außen kehren kann. Gegen Ende packt er dann nochmal richtig aus, das Resultat ist jedoch platter und überzeichneter, als es dem Film gut tut. Dennoch: Wlaschiha hat sich für mich spätestens mit dieser Rolle als einer der ganz großen Akteure in Deutschland qualifiziert.

I don’t care about the child
Von Wlaschihas Spiel profitiert letztlich auch Dukens zurückhaltende (und – seien wir ehrlich – höchstens solide) Art zu spielen. Zwischen den beiden so gänzlich unterschiedlichen, extremen Typen entsteht eine Zweck-Beziehung, die diesen kammerspielartigen Film problemlos tragen kann. Links der kernige Hühne, der lieber auf Taten statt auf Worte setzt; rechts der hinterhältige Pseudo-Philosoph, der quasselt wie ein Wasserfall, wenn er erst mal angefangen hat – gemeinsam ein Duo, das einen verdammt prägenden Eindruck hinterlässt.

Zugleich liegt in der Figurenzeichnung aber auch die größte Schwäche des Films. Denn – zumindest dafür hätte sich Berlin Falling zu Beginn mehr Zeit nehmen müssen – die Beziehung zwischen Frank und seiner Tochter bekommt viel zu wenig Platz eingeräumt. Klar, es ist seine Tochter. Doch wenn das Kind den entscheidenden Motivationsfaktor des Protagonisten bildet, dem Zuschauer aber am Hintern vorbei geht, dann wirkt sich das vor allem gegen Ende negativ auf die Nachvollziehbarkeit seines Handelns aus.

Traumhafte Bilder
Die finale Großtat des Films ist dem Kameramann Ngo The Chau zu verdanken. Dem gelingt es, mit minimalen Mitteln wahre Wunder zu vollbringen und Bilder herbei zu zaubern, die man im deutschen Mainstreamkino ganz, ganz selten zu sehen bekommt. Beispiel: Das Auto fährt auf die Linse zu und macht eine Vollbremsung, woraufhin die Kamera durch das Beifahrerfenster ins Innere des Autos wandert und Andreas‘ Tasche fokussiert, die durch das Manöver nach vorn gerutscht ist – alles ohne Schnitt und in einer einzigen, flüssigen Bewegung. Fast noch beeindruckender sind jedoch die subtilen Momente, in denen sich die Kamera wie im Rausch neigt, rotiert und wandert. Oder der Kontrast, der zwischen den wackeligen Bilder von Frank und den ruhigen Aufnahmen von Andreas entsteht. Chaus Arbeit nicht nur handwerklich überragend, sondern trägt stärker als man das kennt zur Erzählung von Berlin Falling bei.

Fazit
Das Zusammenspiel aus Skript, Darstellern und Kamera macht aus Berlin Falling einen hoch spannenden und überzeugenden Kriminal-Thriller mit einer wichtigen, expliziten politischen und gesellschaftskritischen Botschaft. Großen Respekt dafür. Trotz einiger Abstriche – wie den kleinen Logiklücken, einem zähen dritten Akt und der mangelhaften Darstellung der Vater-Tochter-Beziehung – ein Film, den man unbedingt sehen sollte.

P.S.: Wie es der Zufall so will, kam kurz nach Fertigstellung dieses Textes die Info auf, dass Berlin Falling nun doch noch einige Tage in ausgewählten Kinos zu sehen ist. Also habt ihr jetzt keine Ausrede mehr.

Bilder & Trailer: Warner Bros./NFP/Sky

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