Kritik: „Boston“

Boston (Patriots Day, Peter Berg, USA 2016)
Hochspannende, mitreißende Verfilmung der Ereignisse vom Boston-Marathon 2013 – Peter Berg in Bestform.
Peter Berg ist wahrlich kein A-List-Regisseur. Dafür hat er mit dem grauenhaften Battleship und dem katastrophalen Hancock längst disqualifiziert. Trotzdem scheint der Mann, der auch für solide, wenn auch teils vor Patriotismus triefende Werke wie Lone Survivor, Welcome to the Jungle und Operation: Kingdom auf dem Regiestuhl saß, langsam seine Form zu finden. Und die sieht wie folgt aus: Reale Ereignisse/ Katastrophen wenige Jahre später stark dramatisiert, aber überaus packend und intensiv auf Leinwand bannen. So zumindest war das bei Deepwater Horizon – und ebenso ist es beim nur ein knappen halbes Jahr später erschienenen Boston.
Aus Patriots Day wird Boston
Zunächst muss man der deutschen Vermarktung ein dickes Lob aussprechen: Den furchtbaren Originaltitel Patriots Day in Boston umzubenennen, war die richtige Entscheidung. Denn derart patriotisch, wie das der Titel vermuten lässt, ist dieser Film gar nicht – mit Boston hingegen weiß man genau, woran man ist. Da die geschilderten Ereignisse zudem nur etwas mehr als vier Jahre zurückliegen, erübrigt sich eine ausführliche Inhaltsbeschreibung. Deshalb nur kurz umrissen: Boston schildert die Ereignisse vor, während und nach des Anschlags auf den Boston-Marathon im Jahr 2013 inklusive der mehrtägigen Fahndung nach den Attentätern.
Es ist schwierig, aus einem Material, das in den Köpfen der Menschen noch derart präsent ist, einen spannenden Film zu machen – Berg gelingt das aber scheinbar mühelos. Den Grundstein dafür legt er bereits in den ersten zehn Minuten, die einzig der Etablierung der Figuren gewidmet sind. Die ist beileibe keine Meisterleistung, genügt jedoch, um Empathie zu wecken. Berg schafft das durch einen simplen Trick: Er setzt jede Figur in Beziehung zu einer anderen und verpasst allen kleine, individuelle Eigenarten. Ob nun der Sergeant (J.K. Simmons), der seinen glühenden Zigarillo vor dem Donut-Shop auf einem Vorsprung ablegt, bevor er ihn beim Verlassen wieder aufnimmt – oder die junge Studentin, die ihrem Freund im Bett gern an den Nippeln herumspielt: Solche Details machen sie menschlich und greifbar – sogar bei den Tätern.Dynamik, Dynamik, Dynamik
Zweite große Stärke: die Kamera. Berg bemüht sich um wenige Schnitte, lässt die Kamera stattdessen im dezenten Handkamerastil um seine Protagonisten kreisen, variiert Brennweite sowie Schärfe und sorgt damit stets für Dynamik im Bild. Außer wenn er Spannung aufbauen will. Dann bleibt es zunächst ruhig, bevor die Situation mit voller Wucht eskaliert. Dazu gehört auch eine packende Straßenschlacht, die chaotisch genug ist um mitzureißen und ruhig genug um den Überblickt zu behalten. Der passgenaue Einsatz von Überwachungs- und Fernsehkameramaterial – meist nachgestelltes, teils aber auch Zeitdokumente – ist ebenfalls gelungen.
Dritte Stärke: Die narrative Dynamik, die jener der Ästhetik in nichts nachsteht. Boston kommt – und kann man nicht genug loben – gänzlich ohne Leerlauf aus. Nach besagter Exposition geht es Schlag auf Schlag, Adrenalin- und Spannungslevel bleiben konstant hoch. Was allerdings auch bedeutet, dass sich die Höhepunkte quantitativ in Grenzen halten. Erst in den letzten 20 Minuten zieht Boston nochmal ordentlich an.
Um Ambivalenz bemüht
Und was ist nun mit den (zumindest im Englischen) titelgebenden „Patriots“? Nun, natürlich wird hinsichtlich der Arbeit der Einsatzkräfte heroisiert (wenn auch zugleich mehrfach ihre Fehler in chaotischen Situation bloßgestellt werden). Und dass die „Stadt Boston“ Zusammenhalt und -arbeit bei der Fahndung nach den Attentätern bewiesen hat, bleibt eine unbewiesene These. Doch auch wenn es in den letzten zwei Minuten nochmal richtig pathetisch wird: Bis dahin ist Bostons Subtext eine grenzübergreifende, universelle Botschaft gegen Terrorismus, kein blindes „America Hurray“, das sich hinsichtlich des typischen Feindbildes sogar um Ambivalenz bemüht.
Fazit
Nachdem ich bereits von Deepwater Horizon positiv überrascht wurde, legt Boston sogar noch ein Schippe drauf: Dieser Film fühlt sich nicht so arg zweigeteilt an, stattdessen hat die Erzählung einen besseren Fluss und packt deshalb noch mehr, als der Bergs Film über die Ölkatastrophe. Selbst die Figuren sind ihm besser gelungen. Angesichts des Produktionstempos, das der Regisseur vorlegt, mag manch einer Boston als Massenware bezeichnen – so fühlt er sich aber keinesfalls an. Eine höhere Bewertung scheitert eigentlich nur am geringen Wiederseh-Wert.
Bilder & Trailer: (c) Studiocanal
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