Filme gesehen #163

Diese Woche mit Die Erfindung der Wahrheit, Flight und Silence.
Die Erfindung der Wahrheit (Miss Sloane, John Madden, FRA 2016)
Warum man es hier nicht beim einfachen und vielsagenderem Titel Miss Sloane belassen hat, erschließt sich zwar nicht – aber das ist eben deutsche Verleih-Logik. Jedenfalls gibt der Originaltitel mehr her, als dieses künstliche und eigentlich unpassende Die Erfindung der Wahrheit. Um die geht es hier nämlich gar nicht, vielmehr zeigt Miss Sloane, dass Wahrheit keine absolute, objektive Tatsache ist, sondern stets im zwischenmenschlichen Diskurs konstruiert wird. Nun sehen die Methoden der Lobbyisten Miss Sloanes (großartig: Jessica Chastain) in diesem Diskurs so aus, dass sie Menschen manipuliert, falsche Informationen streut und immer wieder Auffassungen äußert, die sie eigentlich gar nicht vertritt. Doch ausgerechnet die Lobbyarbeit für einen Gesetzesentwurf, der zu mehr Waffenkontrolle in den USA führen soll, wird für sie zur idealistischen Angelegenheit. Für den deutschen Zuschauer ist es schwer, in diese Handlung hinein zu finden, werden hier doch gute Kenntnisse der juristischen und politischen Verhältnisse in den USA voraus gesetzt. Dennoch: Miss Sloane ist ein packender Polit-Thriller, dessen Drehbuch direkt aus der Feder von Aaron Sorkin stammen könnte. Zumindest ist das der Eindruck, der sich aus den komplexen, blitzschnellen Dialogen speist. Sogar der finale Twist kommt halbwegs unerwartet daher, wird dem Zuschauer allerdings detailliert unter die Nase gerieben, was den Film im Abgang ein wenig seiner narrativen Eleganz beraubt. Aber das ist Meckern auf hohem Niveau. Freunde anspruchsvoller, politisch aufgeladener Filme kommen hieran nicht vorbei.
imdb / Trailer
Flight (Robert Zemeckis, USA 2012)
Unbegreiflich, wie dieser derart starke Film so lange an mir vorbeigehen konnte. Zemeckis setzt mal wieder auf einen eindrucksvollen Protagonisten, verkörpert durch den wie immer großartigen Denzel Washington: Ein alkoholkranker Pilot, der eine abstürzende Maschine notlandet und damit das Leben beinahe aller Insassen rettet. Die Drogengeschichte hat natürlich ein Nachspiel und so entwickelt sich nach dem fulminanten Einstieg ein Plot, der sich vornehmlich um Alkoholismus und die damit verbundene Selbsttäuschung dreht, unterstützt durch religiöse Motive, die für Zemeckis einerseits Hoffnung, andererseits Realitätsflucht symbolisieren. Die frühe Läuterung des Protagonisten verspricht zunächst eine Geschichte mit klaren moralischen Polen, bis es zum unvermeidlichen Rückfall kommt, der den Helden gleichsam zum Anti-Helden macht. Sympathisch-menschliche Momente wechseln sich mit Szenen ab, in denen man Washington die gerechte Strafe für sein Fehlverhalten (2,4 Promille am Steuer eines Flugzeugs!!) herbeiwünscht. Immer wieder beschwört er gegenüber sich selbst, anderen und den Zuschauern: Niemand sonst hätte dieses Flugzeug landen können. Womit er auch recht hat. Und doch erkennt man bald die eigentliche Funktion dieses Mantras: die Verleugnung der eigenen Alkoholsucht. Gegen Ende mögen einige narrative Stolpersteine auftreten, der Klasse dieser tiefschürfenden Charakterstudie schadet das aber nur im Detail.
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Silence (Martin Scorsese, USA/UK/TWN 2016)
Martin Scorsese wollte einst Geistlicher werden, wurde dann jedoch – Gott sei Dank – Filmschaffender. In seinem jüngsten Film Silence ist er damit beschäftigt, genau das zu verarbeiten. Natürlich auf seine ganz eigene Weise, heißt: Mal wieder viel zu lang (160 Minuten) und mit einer exzessiven motivischen Bandbreite. Scorsese schickt zwei Priester (Andrew Garfield und Adam Driver) im Stile von Apocalypse Now ins Japan des 16. Jahrhunderts, um ihren seit 20 Jahren verschollenen Lehrmeister (Liam Neeson) zu finden, der – wie so viele andere – Opfer der Christenverfolgung wurde. Silence ist dabei alles andere als zimperlich: Da werden Menschen enthauptet, verbrannt und ans Kreuz gehängt. Das verkommt nie zum Selbstzweck, sondern ist eine deutliche Zurschaustellung der Folgen von religiösem Fundamentalismus und politischer Verfolgung. Zugleich gelingt es Scorsese, dem Thema mit psychologischem Tiefgang zu begegnen und deutlich zu machen, woher die Anziehungskraft einer solchen, auf Hoffnung und bedingungsloser Treue basierenden Lehre rührt – erst recht in Gesellschaften, in denen Armut und Leid allgegenwärtig sind. Bedeutungsschwere Monologe, in denen Garfield nach einer Antwort des himmlischen Vaters giert, aber nur Schweigen (Silence) erntet, sowie gemächliche Kamerafahrten schaffen eine hypnotische Atmosphäre und eigentlich ist alles an Silence mindestens gut bis großartig – bis auf seine unnötig ausgebreitete Länge und seinen Abschluss, in dem der Erzähler unvermittelt wechselt. Ein Film zum Eintauchen. Und ein radikaler obendrein.
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Klasse Artikel. Mit Silence gehe ich allerdings nicht konform.
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Nicht so dein Film gewesen?
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Ganz und gar nicht.
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Ja, „Silence“ hat mich auch sehr beeindruckt. Stimmt, der Perspektivwechsel am Ende macht einen allerdings eher ratlos. Insgesamt aber ein toller Film.
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Vermutlich wollten sie damit die Brücke dahin schlagen, dass das Ganze auf realen Begebenheiten basiert, vermute ich mal. Wirkt aber so, als wären sie erst drauf gekommen, als der Rest des Films schon abgedreht war 😅
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Super Beitrag! Miss Sloan und Flight stehen auch noch auf meiner Liste und nach diesen Bewertungen sind sie auf jeden Fall ein Stück weiter nach oben gerutscht 😉! Was Silence angeht gehen wir allerdings nicht ganz konform was ich auch schon in einer Rezension etwas genauer dargelegt habe…wobei ich versucht bin dem Film mit etwas Abstand noch eine Chance zu geben😉
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Finde ja interessant, dass du ihn in deiner Kritik vor allem Religiösen empfiehlst… ich als Religions-kritischer Mensch verstehe Silence eher als Mahnmal.
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Tatsächlich…also ich als ebenfalls religionskritischer Mensch hätte das nicht so gesehen da es immerhin am Ende meines Erachtens darum geht, dass du zwar deinem Glauben abschwören kannst (was er übrigens nur aufgrund der Umstände macht) du dadurch dann aber ein Stück weit deine Seele einbüst. Außerdem können sich Katholiken darüber freuen, dass sie mal als die Armen, Geschundenen und zu Unrecht verfolgten dargestellt werden.
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Für mich sind das zwei unterschiedliche Aspekte der Geschichte: Das Leid, das die Gläubigen erfahren, ist letztlich das Resultat von Fanatismus auf beiden Seiten – sowohl der Buddhisten, als auch der Christen, die nicht abschwören wollen. Außerdem wären ihnen all die Qualen wären ihnen erspart geblieben, wenn die Europäer nicht missioniert hätten…
Garfields Zweifel an seinem Glauben und der Weg bis zum Abschwören ist – denke ich – das, was auch Scorsese in gewisser Weise durchgemacht hat und letztlich ein Befreiungsschlag – für die Japaner wie für Garfield selbst. Für mich kein Moment, an dem er ein Stück seiner Seele einbüßt, sondern, im Gegenteil, etwas dazu gewonnen hat. Vorher war ihm der Glaube wichtiger als der Mensch, durch das Abschwören dreht sich das Ganze um.
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Okay…ich muss gestehen um analytisch so tief in den Film einzutauchen müsst ich ihn nochmal sehen aber rein so von dem Gefühl und Eindruck an den ich mich erinnere habe ich den Schluss anders interpretiert…aber wie gesagt, dass sind mehr so Eindrücke die übrig geblieben sind. Außerdem würde ich nicht sagen, dass die Christen im Film so dargestellt werden als wären sie durch ihre Missionierungsversuche und ihren Fanatismus selbst schuld an ihrer Misere, das wäre einer meiner Gedanke zu den damaligen Geschehnissen aber den fand ich eigentlich nicht im Film wiedergespiegelt.
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Ist natürlich alles Interpretationssache 🙂
Aber es wird schon deutlich gemacht, dass das Christentum in Japan eigentlich nichts zu suchen hat – daran kann auch Garfields Rede von der universalen Wahrheit nichts ändern
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Du sagst es…ist Interpretationssache weil für mich kam es so rüber, dass nur der Starrsinn der japanischen „Regierung“ dafür verantwortlich wäre, dass sich das Christentum nicht durchsetzt
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Ich fand, dass es Jessica Chastain in „Miss Sloane“ nicht recht gelingt, den Wandel der Hauptfigur nachvollziehbar zu machen. Das war für mich die Schwäche eines ansonsten interessanten Polit-Films. https://daskulturblog.com/2017/07/12/die-erfindung-der-wahrheit-polit-drama-mit-jessica-chastain-im-kampf-gegen-die-waffenlobby/
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„Silence“ ist ein aufwühlendes Drama.
In der zweiten Hälfte des Films wirken einige Christus-Erscheinungen etwas gewöhnungsbedürftig für das zeitgenössische, säkulare Kinopublikum. Rodrigues hört Gottes Stimme oder sieht ihn plötzlich als Spiegelbild auf der Wasseroberfläche eines Bachs. Diese sehr spirituellen Szenen polarisieren. In ihnen schimmert Scorseses Jugendwunsch, Priester zu werden, deutlich durch. Vor seiner Filmkamera verbrachte er einige Zeit in einem jesuitischen Priesterseminar in New York.
Dennoch hat „Silence“ auch für Atheisten oder Agnostiker einiges zu bieten. Regie-Altmeister Scorsese gelang eine beeindruckend gefilmte, packende Erzählung über religiösen Fanatismus und Intoleranz. https://daskulturblog.com/2017/03/06/silence-aufwuehlendes-epos-von-martin-scorsese-ueber-religioesen-fanatismus-und-folter/
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Vollste Zustimmung!
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