Kritik: „Nur Gott kann mich richten“

Nur Gott kann mich richten (Özgür Yildirim, DEU 2017)
Authentisches Gangster-Drama aus heimischen Landen, das trotz aller Qualitäten zu wenige markante Momente hat.
Mehr als 1000 Tatort-Episoden lassen keinen anderen Schluss zu: Deutschland liebt seine Krimis. Weniger präsent in der deutschen Medienlandschaft ist jedoch ein Sub-Genre, das sich seit den 80ern auf der anderen Seite des Teichs starker Popularität erfreut: der Gangsterfilm. Jenes Genre, in dem nicht die Guten, sondern die Bösen im Mittelpunkt stehen. Dass es hierzulande trotz deutlich niedrigerer Verbrechensraten dennoch genug Inspirationen für Geschichten aus dem kriminellen Milieu gibt, das zeigte Regisseur Özgür Yildirim bereits 2008 mit dem ziemlich großartigen Chiko. Schon damals dabei: Moritz Bleibtreu, der nun – zehn Jahre später – die Hauptrolle in Yildirims neuem Gangster-Streifen Nur Gott kann mich richten übernimmt.
Eine Sache vorab: Die Handlung von Nur Gott kann mich richten reißt beileibe keine Innovations-Bäume aus. Im Zentrum steht Ricky (Bleibtreu), der nach einem misslungenen Job fünf Jahre im Knast verbringt. Nach seiner Freilassung lockt der letzte große Coup: Er und sein Partner in crime Latif (Kida Kodhr Ramadan) sollen eine Drogenübergabe sprengen. Als Latif ausfällt, muss Rickys Bruder Rafael (Edin Hasanovic) einspringen, der beim letzten misslungenen Job schwerstens verletzt wurde, ein Kind erwartet und deshalb zunächst ablehnt. Natürlich sagt er doch zu. Und natürlich geht die Sache schief.
Nur Gott kann mich richten überzeugt zunächst mit einem wirklich starken Einstieg: Die tristen Farben der Frankfurter Hinterhöfe, die Exposition der Charaktere und die musikalische Untermalung im so passenden Hip-Hop-Stil schaffen eine ideale Ausgangslage. Danach ebbt diese Intensität zwar ein wenig ab, bleibt aber stets vereinnahmend: Nur Gott kann mich richten nimmt den Zuschauer von Anfang bis Ende mit. Erzählerisch gibt es lediglich im dritten Akt einige Längen, die Spannung jedoch baut sich sich sukzessive auf und entlädt sich in einem Finale, das – wenn alle Handlungsfäden zusammenlaufen – Erinnerungen an die frühen Werke Guy Richties (Bube, Dame, König, grAs und Snatch) weckt. Minus des Humors natürlich: Gute Laune ist in diesem Film, der sich angenehm ernst nimmt, ein Fremdwort.
Seine größte Stärke aber sind die Figuren. Jeder der zentralen Charaktere hat seine eigenen Konflikte zu bewältigen, jeder hadert mit dem kriminellen Leben, entscheidet sich dann aber doch ganz bewusst dafür, und sei es nur, um endlich aussteigen zu können. Komplettiert wird das Trio Ricky, Latif und Raffael durch eine Polizistin (Birgit Minichmayr), der die Drogen in die Hände fallen und die sich damit ebenfalls auf moralische Abwege begibt. Zusätzliches Profil erhalten sie allesamt über eine Element, das schon seit Der Pate fester Bestandteil einer jeder Gangster-Geschichte ist: die Familie. Ricky kümmert sich um seinen dementen Vater (Peter Simonischek), Latif um seine Großfamilie, die Gesetzeshüterin um ihre herzkranke Tochter. Das Abwägen zwischen einem ehrlichen Leben und dem Wohlergehen des eigenen Blutes ist das zentrale Dilemma der Geschichte. Natürlich ist klar, welches moralische Gut zugunsten des anderen unter den Tisch fällt. Und dass die Geschichte nicht für alle gut ausgeht.
Neben den tollen Darstellerleistungen und einer Handvoll wirklich starker Szenen (beispielhaft sei hier nur der Höhepunkt des Konflikts zwischen Ricky und seinem Vater genannt) fehlt es Nur Gott kann mich richten jedoch an markanten Momenten und Elementen. Stattdessen gibt es einige Drehbuchschwächen, manche kleiner (Stichwort: kaputtes Rücklicht), manche größer (Berechenbarkeit). Auch schade, dass der anfängliche Hip-Hop-Vibe schnell ad acta gelegt wird. Lobenswert hingegen, dass der Film nicht krampfhaft versucht, eine politische, sozialkritische Note zu etablieren und dass die ethnische Herkunft sämtlicher Beteiligten keine Rolle spielt: Stattdessen wird der kulturelle Schmelztiegel, in dem sie leben, von allen Beteiligten als gegeben hingenommen. In Verbindung mit dem harten, glaubwürdigen Slang bekommt Nur Gott kann mich richten eine Authentizität, als käme er direkt von der Straße.
Fazit
So schwach sein Pulsschlag auch sein mag: Deutsches Genre-Kino lebt. Nur Gott kann mich richten zeigt, dass auch Deutschland zum Schauplatz spannender, rücksichtsloser und packender Geschichten über Klein- und Großkriminelle sein und dies auch noch verdammt authentisch vermitteln kann. Man spürt, dass die Verantwortlichen das Milieu, das sie hier porträtieren, kennen und ernst nehmen. Und doch hat man das Gefühl, dass das Potential nicht gänzlich ausgeschöpft wurde. Es fehlt das Markante, das Eigenständige, das Überraschende. Würde ich einen Deutschlandbonus vergeben, wären fünf Punkte drin gewesen. So aber reicht es nur für ein „gut“.
Bilder & Trailer: (c) Constantin Film