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Kritik: „Call me by your Name“

Call me by your Name (Luca Guadagnino, ITA/FRA/USA/BRA 2017)

Das filmische Äquivalent einer Urlaubsbilder-Diashow minus deren Unterhaltungswert.

Manchmal verstehe ich die Welt nicht mehr. Donald Trump ist US-Präsident. Die AfD räumt 12,6 Prozent bei der Bundestagswahl ab. Und jetzt das: Traumnoten und ein Drehbuch-Oscar für Call me by your Name. Was läuft nur falsch in der Welt?

Ich gebe zu, es gibt immer wieder solche Filme, bei denen die Kritiker in himmelhochjauchzende Jubelarien verfallen, ohne dass ich das nachvollziehen könnte. Diese Filme teilen sich für gewöhnlich zwei Eigenschaften: Ruhe und Langsamkeit. Manchmal funktioniert das blendend und sorgt für einen großartigen Film (jüngstes Beispiel: Blade Runner 2049), manchmal sorgt das hingegen schlicht für unerträgliche Landweile. Call me by your Name gehört zu letzterer Gruppe.

Und wenn es eine Sache gibt, die noch schlimmer ist als ein Film, der langatmig erzählt ist, dann einer, der darüber hinaus nichts zu erzählen hat. Der 17-jährige Elio (Thimotée Chalamet) lebt hier mit seinen intellektuellen Eltern in einer Villa im Italien der frühen 80er, regelmäßig begrüßt die Familie junge Doktoranten. Diesmal ist sein Name Oliver (Armie Hammer). Zwischen ihm und Elio entwickelt sich über zwei Stunden hinweg eine leidenschaftliche Romanze, die vor allem Elios unsicheren Teenager-Verstand durcheinander wirbelt.

So zumindest will es uns der Film verkaufen. Alles was hängen bleibt, sind lediglich zwei Männer – einer älter, einer jünger – die sich vorsichtig annähern, dann ein wenig rummachen und sich schließlich trennen müssen. Das soll alles ganz emotional und tief bewegend sein, ans Herz gehen, die Gefühle wallen lassen. Doch statt Emotionen verspürte ich ausschließlich Langeweile.

 

Denn in dieser perfekten sommerlichen Lombardei-Kulisse mit seinen wunderschönen, wohlhabenden und intelligenten Menschen ist kein Platz für Konflikte, Probleme oder auch nur einen Hauch von (An-)Spannung. Genauso gut könnte man zwei Menschen 130 Minuten lang beim Sommerurlaub zuschauen. Vermutlich wäre das sogar noch unterhaltsamer.

Natürlich kann man den Konflikt dort suchen, wo er nicht sichtbar ist: Im Kopf des Protagonisten nämlich, der nicht so recht weiß, zu welchem Geschlecht er sich hingezogen fühlt. Aber erstens muss man dafür schon sehr, sehr viel Interpretationsarbeit leisten – und zweitens vermute ich, dass die Antwort schlicht „beide“ lautet. Was für eine Erkenntnis!

Problem ist auch, dass der Hauptdarsteller überhaupt nicht im Stande ist, diese vermeintliche Bandbreite an Gefühlen zu vermitteln. An dieser Stelle kann mich nur auf meinen ganz subjektiven Eindruck berufen: Aber ich habe hier absolut nichts gespürt. Stattdessen war mir dieser dezent hochnäsige Teenager derart weit entrückt, dass ich keinerlei Sympathien entwickeln konnte. Wie aber soll das auch funktionieren bei jemandem, der den lieben langen Tag nur in der Sonne oder am Pool liegt, Hochliteratur liest, klassische Musik transkribiert und Obst futtert, aber weder einen körperlichen noch einen charakterlichen Mangel aufweist und deshalb eher wie ein Plastikmensch denn eine reale Person wirkt? Wo hier eine Oscar-nominierungswürdige Leistung stecken soll, habe ich jedenfalls bis zum Ende nicht verstanden.

Vielleicht sind es ja auch die vermeintlichen Tabubrüche, die für eine solche Begeisterung sorgen? Die zahlreichen nackten männlicher Oberkörper? Die vergleichsweise offenherzigen Sex-Szenen? Diese unfassbar seltsame Stelle mit einem Pfirsich? Ist das deswegen automatisch Kunst? Oder rührt die Liebe des Feuilletons doch eher von der naturbelassenen Kulisse, die anfangs noch sehenswert ist, aber in derart konventionellen Bildern eingefangen wird, dass sie bald nur noch langweilt? Ich habe keine Ahnung.

Zum Schluss kommt dann aber doch noch dieser eine Glanzmoment: In einem großartigen Monolog fasst Elios Vater (Michael Stuhlbarg) all das zusammen, was zwei Stunden lang angedeutet werden sollte, aber nie auf der Leinwand zu sehen war. Es sind diese wenigen, gänzlich unerwartet kommenden Minuten, die Call me by your Name für mich haarscharf vor der Vollkatastrophe bewahren und das schaffen, was der ganze Rest dieser filmischen Luftnummer nicht geschafft hat: Mich zu berühren. Nur: Zwei gute Minuten machen 130 furchtbare auch nicht wett.

Fazit
Ganz ehrlich: Ich habe keine Ahnung, was die große Mehrheit in diesem Film sieht. Man kann das alles in ganz viele schöne Wörter packen, Bedeutungen und Symbole suchen (ist ja auch kein Akt: Call me by your Name wird diesbezüglich an einigen Stellen sehr deutlich), die vermeintliche Ästhetik der Verliebtheit, des Schwebens und [insert empty phrase here] feiern. Ich aber finde das schlicht stinkend langweilig, substanzlos und gehe so weit zu sagen, dass es keinen Unterschied gemacht hätte, wenn es in diesem Film um ein heterosexuelles Paar gegangen wäre. Und dass Call me by your Name kaum mehr zu bieten hat, als eine TV-Schmonzette im Sonntagnachmittags-Programm des ZDF.

Bilder & Trailer: (c) Sony Pictures Classic

7 Kommentare zu „Kritik: „Call me by your Name“ Hinterlasse einen Kommentar

  1. Endliiiiiich 🙂 Die Kritik ist da!! 🙂

    Naja, du weißt ja, dass ich das alles komplett anders sehe. Witzig finde ich, dass mein Erlebnis den Film zu gucken wirklich absolut umgekehrt gewesen zu sein scheint, weil ich alles an dem Film mochte AUßER den Monolog des Vaters, bei dem ich mir dachte „oh, come on…“.

    Die Nektarinen-Szene ging mir auch erst zu weit, bis sie das Schlüsselelement für diesen kompletten Stimmungsbruch bildete. Das fand ich dann ziemlich gut gemacht eigentlich.

    Schauspielerisch fand ich ihn sehr gut. Die Chemie schien voll da zu sein, alles wirkte irgendwie natürlich (vielleicht auch deshalb für dich langweilig?) und ich mochte wie unbeholfen er anfangs war (zB beim küssen den Mund zu weit aufgemacht hat) und das Selbstbewusstsein gefaket hat und dann mit der Zeit immer mehr gefunden hat wer er ist, und dann auch immer ehrlicher allen anderen gegenüber wurde.

    Dann die Eltern total liberal und sensibel, sogar schon beziehungsfördernd, und trotzdem wird nur durch die Blume gesprochen, weil das allgemeine Gesellschaftsbild, das man im Kopf hat, trotzdem noch ein anderes ist – sogar in dieser Friede-Freude-Eierkuchen-Welt.

    Irgendwie schade, dass er dir nicht gefallen hat..
    Aber naja 🙂
    Ich war jedenfalls gespannt auf deine Begründungen und ich kann alles was du schreibst nachvollziehen. Ich habs nur anders wahrgenommen..

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  2. Eine mutige Rezension – es ist ja doch immer wieder ein revolutionär, von der vorherrschenden Meinung abzuweichen. Ich habe den Film noch nicht gesehen und finde deine Sicht der Dinge vor allem vor dem Hintergrund der bisher gehörten Lobeshymnen interessant … ich bin gespannt, wie der Film auf mich wirkt, falls ich es ins Kino schaffe 😀

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  3. Spannend, sehr spannend, deine Kritik. Ich habe inzwischen das Gefühl, dass man CALL ME BY YOUR NAME entweder liebt oder hasst. Ein Dazwischen gibt es offensichtlich nicht. Hab auch noch keine Kritik gelesen, die mal nur eine durchschnittliche Wertung verteilt. Ich gehöre übrigens zur anderen Seite – zu denen, die den Film mochten. Wenigstens sind wir beiden uns einig, dass Michael Stuhlbarg der Wahnsinn war.

    Hier meine (euphorischere) Kritik zum Film: http://adoringaudience.de/call-me-by-your-name-o-2017/

    Gefällt 1 Person

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