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Kritik: „I, Tonya“

I, Tonya (Craig Gillespie, USA 2017)

Biopic über die Eiskunstläuferin Tonya Harding, die die Medienwelt Anfang der 90er in Aufruhr versetzte.

Moneyball, An jedem verdammten Sonntag, Rush … Die Liste der Filme, die sich um einen Sport drehen, für den ich sonst keinerlei Interesse hege, ist kurz aber qualitativ imposant. Nun hat sie einen weiteren Eintrag bekommen: I, Tonya, der die skurrile Geschichte der US-Amerikanischen Eiskunstläuferin Tonya Harding (Margot Robbie) erzählt. Um es vorweg zu nehmen: Noch nie war dieser Sport derart unterhaltsam.

Den Großteil seines Unterhaltungswertes zieht I, Tonya aus seinen überaus schrägen Figuren. Am Anfang ist da Tonyas Mutter, eine bösartig-garstige, kaltherzige Hexe, die ihre Tochter schon im Alter von drei Jahren auf Eis jagt und nichts besseres zu tun hat, als sie bei jeder Gelegenheit nieder zu machen. Allison Janney verkörpert diese Frau mit absoluter Hingabe und erschafft damit ein absolut hassenswert-skurriles Monster (Stichwort: Papagei). Der Oscar für die beste weibliche Nebenrolle kam da absolut verdient.

Kein Wunder, dass bei so einer Mutter ein ziemlich verkorkstes Kind herauskommen musste. Tonya Harding ist ein typisches White-Trash-Mädel, die jedoch ein unfassbares Talent auf dem Eis vorzuweisen hat. Leider kommt es in diesem Sport aber nicht nur auf Können, sondern mindestens genauso sehr auf die dazugehörige Präsentation an. Und da kann Tonya mit ihren selbst genähten Kostümen, ihrer dezent asozialen, ungepflegten Frisur, ihrer rebellischen Attitüde und ihrer Musikauswahl (ZZ Top statt J.S. Bach) schwerlich mithalten.

Daraus erwächst ein Biopic, das bereits zu Beginn klarstellt, es basiere auf „ironiefreien, extrem widersprüchlichen“ Interviews mit seinen wichtigsten Handlungsträgern, die – von den Darstellern nachgespielt – immer wieder in den Film eingestreut werden. Was ebenfalls schnell klar wird: Alles, was gezeigt wird, steht auf sehr wackeligen Beinen. Die ungeschriebene Regel „Was du siehst, ist so passiert“ wird hier ganz schnell bewusst verworfen. Stattdessen wird es dem Zuschauer überlassen herauszufinden, was wahr und was überzogen ist.

Durchaus kein einfaches Unterfangen, denn Sympathie und Abscheu liegen bei allen Figuren ganz eng beieinander. Dafür aber ist es umso spaßiger. Denn was sich diese Charaktere für Entgleisungen erlauben (verbal wie körperlich) und vor allem die Art und Weise, wie das zusammengeschnitten ist, ist eine Wohltat fürs Zwerchfell. I, Tonya ist tatsächlich einer der witzigsten Filme, die ich seit langer Zeit gesehen habe – und schafft es trotzdem, immer wieder den Bogen zur Tragödie zu schlagen, die er im Kern ist.

Denn trotz des grandiosen Humors und der Skurrilität dieser gesamten Angelegenheit um ein mutmaßliches Attentat auf Hardings Konkurrenten Nancy Kerrigan ist die Geschichte von Tonya Harding eine durch und durch tragische. Die Geschichte einer authentischen, talentierte Frau, die in einem Sport der Oberflächlichkeiten durchstarten will und der immer wieder Knüppel zwischen die Beine geworfen werden. Eine Geschichte um die Folgen, die ein verkorkstes Elternhaus auf das Leben eines Menschen haben kann. Eine Geschichte der Sensationslust der Medien, die sich wie Aasgeier auf alles stürzen, was Prominenz und Skandal miteinander vereint (der Verweis zum Fall O.J. Simpson darf da nicht fehlen). Die Geschichte einer Frau, die nur Höchstleistungen erbringt, wenn sie von anderen klein gehalten wird. Was dann auch für eine überraschend zeitgeistige Note sorgt.

Und ja: Margot Robbie verkörpert diese Rolle perfekt. Jeder Gesichtsausdruck, jede Geste, jede Bewegung – besonders wenn es aufs Eis geht – sitzt und transportiert eine ganze Wagenladung an Emotionen. Sogar die Kamera ist ganz große Klasse. Die wechselt immer wieder zwischen wackeligen Handkameraaufnahmen und sauberen, langen Einstellungen, bleibt jedoch stets ganz nah an seinen Protagonisten dran. Und der Soundtrack, ach, dieser Soundtrack! Natürlich Geschmacksfrage, aber ich liebe solche Best-Ofs der 70er und 80er einfach.

Wenn nun auch noch sage, dass das Erzähltempo angenehm fix voran prescht und dass hier zu keiner Sekunde Langeweile aufkommt, dann könnte man fast meinen, I, Tonya wäre ein rundum perfekter Film. Zwei Dinge verhindern das allerdings. Zum ersten, dass Nancy Kerrigan hier weder zu Wort kommt noch einen angemessenen Anteil an der Handlung erhält, obwohl sie so relevant für die Geschichte ist. Zum zweiten die Tatsache, dass sich I, Tonya permanent um Ambivalenz und Neutralität bemüht, sich am Ende dann aber doch auf die Seite seiner Hauptfigur schlägt und sie als Opfer inszeniert. Das mag Tonya Harding möglicherweise auch gewesen sein – es wäre jedoch angenehmer gewesen, hätte man diese Erkenntnis dem Zuschauer überlassen und ihn nicht dazu genötigt.

Fazit
Fantastische Darsteller, tolle Optik, ein mitreißender Soundtrack, ein erfrischend hohes Erzähltempo und ganz, ganz viel Witz: I, Tonya hat sich jetzt schon einen sicheren Platz auf meiner Jahresbestenliste gesichert. Bitte schaut euch diesen Film an, er ist einfach verdammt gut.

Bilder & Trailer: (c) DCM

4 Kommentare zu „Kritik: „I, Tonya“ Hinterlasse einen Kommentar

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