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Kritik: „Avengers: Infinity War“

Avengers: Infinity War (Anthony & Joe Russo, USA 2018)

Der große Paukenschlag zum 10-jährigen Bestehen des MCU vereint alle wichtigen Figuren im Kampf um die Erde.

Es hat nur zehn Jahre und 18 Filme gedauert, um diesen Punkt zu erreichen: Endlich finden all die erzählerischen Fäden und ihre wichtigsten Figuren aus dem Marvel Cinematic Universe (MCU) zusammen, um gemeinsam gegen ihren größten Widersacher in die Schlacht zu ziehen. Avengers: Infinity War nennt sich dieses Spektakel, das jetzt schon ein riesiger Erfolg an den Kinokassen ist. Zurecht, wie ich zugestehen muss. Denn trotz auch bei mir aufgetretener Superhelden-Ermüdungserscheinungen hat mir Infinity War verdammt viel Spaß bereitet.

Das liegt allerdings nicht an der Handlung. Die ist nämlich derart dünn, dass sie problemlos auf einen Bierdeckel passt: Superhelden kommen zusammen um zu verhindern, dass der Böse sechs bunte Edelsteine an sich reißt um damit das halbe Universum auszulöschen. Daraus haben die Russo-Brüder, die mit dem dritten und vor allem dem zweiten Captain America ihr Händchen fürs MCU beweisen konnten, einen zweieinhalb Stunden langen Blockbuster gebastelt, der genau das bietet, was man erwarten durfte: epochale Schlachten, witzige Sprüche und solides Character-Buildung. Das alles macht er aber derart gut, dass es eine wahre Freude ist.

Gleich mal zur größten Stärke des Films: Seinem Antagonisten Thanos (Josh Brolin), der derart präsent ist, dass er eigentlich schon als Protagonist gewertet werden könnte. Nicht nur sieht der Typ verdammt gut aus (also in technischer Sicht natürlich), denn selbst im Zusammenspiel mit realen Akteuren wirkt der CGI-Koloss absolut glaubhaft – er ist auch noch ziemlich charismatisch. Und ja, er ist der beste Bösewicht, den das MCU bisher hervorgebracht hat, was dem ultimativen Gegenspieler dieses ganzen Franchises nur gerecht wird. Der Kerl ist nicht aus reinem Vergnügen daran interessiert, das halbe Universum zu vernichten, sondern folgt einer rationalen, nachvollziehbaren Motivation. (Auch wenn sein Verständnis von „Gleichgewicht“ recht fragwürdig ist.) Im Zuge dessen muss er sogar schmerzhafte Opfer bringen. So wirklich will dieser entscheidende Moment zwar nicht zünden, er verleiht Thanos aber eine emotionale Tiefe, die in diesem Metier ihresgleichen sucht. Thanos ist das Gegenteil des Dark KnightJokers – und erreicht beinahe dessen Klasse.

Dass er so eindrucksvoll ist, liegt auch daran, dass er das omnipräsente Thema der Marvel-Filme auf die Spitze treibt: Zusammenhalt, Familie und eine komplizierte Beziehung zum eigenen Vater, zuletzt zu sehen in Thor 3, Black Panther oder Guardians of the Galaxy 2. Der Übervater Thanos bildet die konsequente Klimax dieses Motivs – nicht nur in seiner Beziehung zu Ziehtochter Gamora (Zoe Saldana).

 

Die zweite große Stärke des Films: sein Erzählfluss. Das, was Joss Whedon zuletzt in Avengers 1 gelang, gelingt nun auch den Russos, obwohl die es nochmals schwerer hatten: jeder der gut zwei Dutzend Figuren einen angemessenen Platz und eine relevante Funktion in der Handlung zukommen zu lassen. Einzig Ant-Man und Hawkeye haben die beiden (zum Glück) ausgeklammert. Natürlich kommen dabei einige auch zu kurz, vor allem B-Lister wie Black Widow (Scarlett Johansson) oder Falcon (Anthony Mackie). Aber die waren ja eh schon immer Beiwerk. Die Russos packen all diese Figuren in drei sich überschneidenden, aufsplittenden und zusammenfindenden Handlungssträngen zusammen (plus der von Thanos) und wechseln immer wieder im richtigen Moment zum nächsten. Zwar gibt es im Mittelteil ein paar Längen, über weite Strecken hält Infinity War aber ein optimales Tempo. Auch da sich Action, Charaktermomente und Humor bestens abwechseln.

Wo wir beim Humor sind: Selbst der ist gelungen. Anstatt ihn über den kompletten Film zu verteilen, finden sich die Gags im Wesentlichen am Anfang. Mit zunehmender Spannung und Bedrohungslage nimmt auch die Humordichte ab, was der Stimmung des Films wahrlich gut tut.

Dritte, offensichtliche Stärke: die Technik. Optisch ist Infinity War ein echtes Brett. Ein Brett, das natürlich zum Großteil aus dem Computer kommt, aber jederzeit überzeugt. Fielen bei Black Panther noch viele mäßige Animationen auf, ist dies nun passé. Hinzu kommt eine saubere 3D-Technik, auch wenn deren inszenatorischen Potential ungenutzt bleibt. Zum Tragen kommt diese Stärke in den Actionsequenzen (also im Prinzip im kompletten letzten Akt), die zwar einen einzigen visuellen Overkill ergeben, aber stets übersichtlich und abwechslungsreich inszeniert sind. Dieser Overkill sorgt allerdings auch dafür, dass es solche Momente wie die bekannte Plansequenz des ersten Avengers nicht gibt: Alles ist auf hohem Niveau, doch nichts sticht heraus.

Zwei Dinge müssen noch angesprochen werden. Zunächst mal das mit der Eigenständigkeit. Ich weiß nicht, wer jemals geglaubt hat, Infinity War würde als Film für sich stehen können – diejenigen dürften aber eine große Enttäuschung Erleben. Avengers 3 ist weder am Anfang noch am Ende selbstständig. Wer bisher nicht wenigstens mit den wichtigsten Figuren – Iron Man (Robert Downey Jr.), Dr. Strange (Benedict Cumberbatch), Thor (Chris Hemsworth) oder die Guardians – in Kontakt gekommen ist, wird mit dieser seltsamen Hatz auf die sechs bunten Steinchen mal so gar nichts anfangen können. Und vor allem nichts spüren, denn Infinity War verlangt nach einer gewissen emotionalen Bindung zu diesen Figuren.

Aber schließlich war das auch das Konzept: Die Figuren über mehrere Filme hinweg aufzubauen, um sie schlussendlich zusammenzuführen. Ebenso zum Konzept von Infinity War gehört es, ein Zweiteiler zu sein, weshalb am Ende ein dicker, dicker Cliffhanger lauert. Böse Stimmen werfen ihm nun vor, nur großer Teaser für den zweiten Teil zu sein. Aber ganz ehrlich: Wenn das hier schon der Teaser ist, dann freue ich mich wirklich auf das fertige Produkt.

Die zweite Sache, die angesprochen werden muss, befindet sich im Spoiler-Territorium (keine Sorge, nur dieser Absatz). Der Verlust all dieser Figuren am Ende ist tragisch. Oder zumindest will es das sein. Mir hat der von Thanos ausgelöste Genozid wenigstens einen erstaunten Blick beschert, allein schon deshalb, weil diesmal auch relevante Figuren dahinscheiden. Und so verspürte ich etwas, das ich am Ende eines Marvelfilms bisher noch nie verspürt hatte: Ich war betrübt. Kein Happy End, keine gute Laune, keine Banalität. Natürlich ist dieses Ende trotzdem bedeutungslos – beziehungsweise wird von seinem Nachfolger in die Bedeutungslosigkeit gestoßen werden. Dazu bedarf es bloß des Wissens um die Marvelfilme, die in den kommenden Jahren anstehen. Vielleicht ist es aber auch nicht wichtig, welche (emotionalen) Folgen das für mich hat – sondern für die Figuren, was sich schließlich auf mich überträgt. Die müssen nun nämlich erstmals eine herbe Niederlage einstecken, jeder verliert Freunde oder Familienmitglieder. Und es ist für die Russos ebenso die Gelegenheit, ihr Finale mit einem schlankeren, übersichtlicheren und seelisch vernarbtem Figurenensemble zu bestreiten. Wie gesagt: Ich freue mich auf den Nachfolger.

Fazit
Nach Guardians 2, Thor 3 und Black Panther habe ich nicht viel von Avengers: Infinity War erwartet. Was vermutlich genau richtig war, denn so wurde ich absolut überrascht. Technisch ist das Ding eine Bombe. Erzählerisch zwar kein Meilenstein, aber quasi die Perfektion der Marvelformel plus einiger angenehmer Nuancen wie der Verlagerung des Humors in die erste Filmhälfte. Der Film funktioniert aber vor allem wegen seines Bösewichts: Selten habe ich einem Comic-Antagonisten derart gern und zugleich respektvoll dabei zugeschaut, wie er seine Pläne in die Tat umsetzt. Kurzum: Ich mag Infinity War. Und kann ihm deshalb jedem, der das MCU halbwegs interessiert verfolgt hat, problemlos ans Herz legen. Auch wenn ihn inzwischen wohl alle schon gesehen haben.

Bilder & Trailer: (c) Disney/Marvel Studios

17 Kommentare zu „Kritik: „Avengers: Infinity War“ Hinterlasse einen Kommentar

  1. Ich stimme dir über weite Teile zu. Thanos ist grandios, die Verflechtung der Handlungsstränge ist gelungen und die Figuren für MCU-Fans ausreichend etabliert. Lediglich die CGI ist mir negativ aufgefallen. Ich weiß, das ist Jammern auf hohem Niveau, aber bei einigen Szenen ist mir der Green Screen schon sehr deutlich ins Auge gesprungen. Unglicklicherweise gerade bei Gomorras Schlussszene.

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  2. So langsam glaube ich, dass es zwei Filmversionen gibt 😀 Aber solche Gegensätze gibt es ja bei fast jedem Marvel-Film.
    Ich stehe bei „Infinity War“ auf der anderen Seite. mMn hat hier fast nix funktioniert, außer die Effekte und Thanos als Bösewicht.

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    • Ja, diese Meinung habe ich schon mehrfach gelesen ^^
      Ist ja auch vollkommen nachvollziehbar. Ich vermute es liegt ganz entscheidend daran, mit welchen Erwartungen man in den Film geht. Bei mir war es „Ich habe Bock, bin aber überhaupt nicht euphorisiert“.

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      • Meine Erwartungen: „Ich mag Superhelden. Ich finde die meisten Marvel-Filme gut – ok. Unterhalte mich Infinity War!“
        Ich hatte nicht gedacht, dass er diese Erwartungshaltung nicht erfüllen kann 😀

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      • Hab mir jetzt mal deine Kritik durchgelesen und kann deine Punkte wirklich nachvollziehen, stimme aber nicht zu. Für mich ist die Mischung aufgegangen. Da muss man wohl einfach akzeptieren, dass man einen Film auch ganz anders wahrnehmen kann, als ähnlich gepolte Menschen (siehe meine furchtbare Erfahrung mit „Call me by your Name“….)

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      • Ja, na klar. Filme wirken halt unterschiedlich. Mich interessiert nur immer das „Warum“ 😀 Meistens liegt es an den Erwartungen, aber hier kenne ich enttäuschte und gehypte Fans und bei den Kritikern ist die Bandbreite genauso groß.
        Ein Blick in die Glaskugel sagt mir aber, dass nächstes Jahr um diese Zeit viele enttäuschte Gesichter aus dem Kino gehen 😀

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  3. Thanos war wirklich super. Davor hatte ich ja die meiste Angst: Dass der Schurke einfach mal Mist wird, obwohl er seit zehn Jahren angeteasert wird. Thanos haben sie wirklich überzeugend und gut hinbekommen. Fand ihn wirklich super.

    Insgesamt war „Infinity War“ für mich ein bisschen Thanos und Guardians of the Galaxy 2.5

    Aber ich fand ihn auch super!!!

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