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Im Kino: „Vollblüter“

Ein surrealer, schwarz-humoriger Blick hinter die kultivierte Fassade der Reichen und Schönen – dort, wo die wahren moralischen Abgründe lauern.

Vollblüter (Thoroughbreds, Cory Finley, USA 2017)

Mit den „Reichen und Schönen“ ist das so eine Sache: Einerseits leben sie uns das vermeintliche gesellschaftliche Idealbild vor, andererseits weiß niemand, wie es hinter silbernen Toren, englischem Rasen und seidenen Vorhängen – abseits der Klischees aus ZDF-Vorabend-Produktionen – wirklich zugeht. Regisseur Cory Finley gibt mit seinem Debütwerk Vollblüter einen ungewöhnlichen Einblick in diese Parallelgesellschaft. Und es zeigt sich schnell, dass der Schein trügt. Denn weder die Probleme noch die Menschen, die sie haben, sind hier alles andere als normal.

Es gibt einen Eindringling in dieser Welt. Ihr Name ist Amanda (großartig: Olivia Cooke). Amanda kann nichts fühlen. Im wahrsten Sinne des Wortes: Sie verspürt keinerlei emotionale Regung, beherrscht es dafür aber umso besser, die Regungen anderer Menschen zu interpretieren und zu imitieren. Ein emotionsloser Mensch, der dafür umso empathischer ist. Ihr komplettes Gegenteil ist Lily (Anya Taylor-Joy), die in einem riesigen Anwesen lebt, deren einfältiges, vom Verlust des Vaters traumatisiertes Gemüt nur einen (unbewussten) Mittelpunkt kennt: sich selbst. Ein höchst emotionaler Mensch, der deshalb umso empathieloser ist. Amanda und Lily waren in der Schule befreundet, verloren sich aber aus den Augen.

Die nihilistische Amanda bekommt nun von der individualistischen Lily Nachhilfe für einen College-Test, wobei die Freundschaft der beiden eine Renaissance erfährt. Bald gerät das Lernen in den Hintergrund. Stattdessen feilen beide Mädels am Plan, Lilys Stiefvater Mark (Paul Sparks) umzubringen. Der hat es sich zwischen Macht- und Statussymbolen gemütlich gemacht, will seine Stieftochter in alter Märchentradition aus dem Haus haben, strapaziert allabendlich mit seinem Ergometer ihre Nerven und erweist sich insgesamt als ein alles andere als sympathischer Mensch.

Zwei sozial dysfunktionale Menschen tun sich also zusammen, um einen weiteren aus dem Verkehr zu ziehen. Ein vierter im Bunde fehlt noch: der Kleinkriminelle Tim (Anton Yelchin in seiner letzten Rolle), der neben der elitären Lily und der bürgerlichen Amanda die Unterschicht repräsentiert und den Mord an Lilys Stiefvater ausführen soll. Dass Cory Finley mit seinem Film überkommene Vorstellung von Ethik, Habitus und Stereotypen aufbrechen will, zeigt sich spätestens, als Tim im entscheidenden Moment kneift und sich damit als moralischste Figur in dieser Geschichte erweist. Die eigentlichen Abgründe verbergen sich stattdessen hinter der kultivierten Fassade von Lilys Heim.

 

Zwischen diesen so verschiedenen Charakter entspinnen sich Dialoge und Situationen, aus trockener, schwarzer Humor geradezu heraustropft. Das Absurde und das Abscheuliche treffen hier auf faszinierende Weise zusammen. Das ist aber nur die halbe Miete – die andere ist die audiovisuelle Gestaltung, die für einen Erstlingsfilm eigentlich viel zu souverän anmutet. Die Kamera verweilt immer wieder in komplettem Stillstand, was insbesondere Amandas Stoizismus bestens widerspiegelt. Dazwischen gibt es symmetrische, zentralperspektivische Aufnahme, langsame Schwenks und vorsichtige Steady-Cam-Fahrten, die den Figuren durch die labyrinthischen Gänge des Anwesens folgen -Kubrick lässt grüßen.

Der minimalistische Soundtrack ordnet sich derweil gänzlich den Bilder unter. Das wird vor allem zu Beginn deutlich: In den ersten Dialogen zwischen Lily und Amanda erklingt die Musik von Erik Friedlander nur, wenn gesprochen wird. Dazwischen vertröstet Vollblüter sein Publikum mit angenehmer Stille. Tribal anmutende Trommeln und atonale Töne ergeben eine Klangkulisse, die die Surrealität dieses Werks und seiner Bestandteile perfekt unterstreicht.

Fazit
Vollblüter 
ist ein ziemlich ungewöhnlicher Film. Ein ebenso mutiger wie experimentierfreudiger, der trotz dessen mit einer Stilsicherheit inszeniert ist, die man selten findet. Es ist ein Film, dessen Ruhe viel Raum für Gedanken lässt: Je weniger für das Auge sichtbar ist, desto mehr kann im Kopf geschehen. Und es ist ein Film, der gefällt, ohne dass man so wirklich weiß, warum. Sind es die Figuren? Die omnipräsente Ambivalenz? Die unkonventionelle Art der Inszenierung? Von allem wohl ein bisschen. Vollblüter mag einen am Ende ein wenig ratlos zurücklassen – nichtsdestotrotz (oder gerade deswegen) aber 93 ziemlich gut investierte Minuten.

Bilder & Trailer: (c) Universal

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