Angst essen Seele auf

Rainer Werner Fassbinder, DEU 1974
Fast 45 Jahre alt ist dieser Film. Und wie es scheint, hat sich seitdem wenig in Deutschland getan. Zumindest, was den Umgang einiger Einheimischer mit Migranten betrifft. Früh werden in Angst essen Seele auf Sprüche, Unterstellungen und Klischees ausgesprochen, die man auch heute noch an Stammtischen, viel öfter inzwischen aber in Facebook-Kommentaren lesen kann: „Die“ Ausländer seien alle faul, würden sich nicht waschen und nur hier sein, um Geld zu ergaunern, Frauen zu vergewaltigen und Menschen auf offener Straße zu töten.
Regisseur Rainer Werner Fassbinger ringt in diesem Film mit der seelischen Kälte und dem Rassismus des deutschen Bürgertums. Man könnte gar sagen: Er kämpft offensiv dagegen an. Doch das würde der Vielschichtigkeit, die er seinen Figuren gibt, Unrecht tun. Die Liebesbeziehung, die sich hier zwischen einer älteren deutschen Witwe (Brigitte Mira) und einem marokkanischen Gastarbeiter (El Hedi ben Salem) entwickelt, ist geradezu getrieben von der Ambivalenz und Wechselhaftigkeit ihrer Beteiligten.
Das schlägt sich im letzten Drittel allerdings auch negativ nieder. Als die Witwe – verzweifelt von den Anfeindungen und der Ignoranz, mit der sie ihre Mitmenschen ob der neuen Liebschaft strafen – verspricht, nach einem gemeinsamen Urlaub werde sich alles bessern, erfüllt sich dieses Versprechen tatsächlich auch. Allerdings scheinen alle aus ihrem Umfeld plötzlich wie vollkommen ausgewechselt zu sein, sodass die Geschichte in diesen letzten 30 Minuten viel von ihrer Glaubwürdigkeit einbüßt.
Die (typischen deutschen) hölzernen Dialoge tragen ihr Übriges dazu bei. Nichtdestotrotz: Hat man sich daran gewöhnt, wird Angst essen Seele auf zu einem berührenden und nachdenklich stimmenden Porträt über die Liebe zweier diametral verschiedener Menschen und vor allem über eine Gesellschaft, die diese Liebe mit Verachtung straft. Anders gesagt: Deren Angst ihre Seele auffrisst.
Bild: (c) Rainer Werner Fassbinder Foundation