Der Junge im gestreiften Pyjama

The Boy in the striped Pyjamas, Mark Herman, UK/USA 2008
Jetzt wird’s schwierig. Ich habe nämlich ein mittelgroßes Problem mit Der Junge im gestreiften Pyjama. Wie also die richtigen Worte finden, wenn es sich um einen Film mit einer derart sensiblen Thematik – dem Holocaust – handelt? Ich versuch’s mal so: Der Ansatz ist zunächst interessant. Die Geschichte des größten Verbrechens der Menschheit wird hier aus der Perspektive eines achtjährigen Jungen (Asa Butterfield) geschildert, dessen Vater zur Spitze der SS gehört. Der zieht mit seiner Familie zu Beginn des Krieges aufs Land, in unmittelbare Nähe eines Konzentrationslagers, sodass sein Sohn schon bald in Kontakt mit einem Insassen – ein Kind im gleichen Alter – kommt.
Dieser unschuldige Blickwinkel befreit den Film von der Schwere vergleichbarer Werke – und in gewisser Weise auch von einer moralischen Voreingenommenheit, was es dem Zuschauer erleichtert, sich ein eigenes Bild zu machen. Zugleich steht dabei aber die Frage im Raum, ob das nicht zur Verharmlosung und Verkitschung des Themas beiträgt. Vor allem in einer Szene aber liegen meine Magenschmerzen begründet: Da sitzen die Nazigrößen in einem Vorführraum und sehen sich einen Propagandafilm an, in dem das KZ als eine Art Feriencamp inszeniert wird, mit dem Zweck, die Bevölkerung über die dortigen Gräueltaten zu täuschen. Ich bezweifle, dass es solche Filme tatsächlich gab – eine kurze Recherche bestätigte das. So wird hier die Frage der Schuld ganz auf die Nazigrößen abwälzt – eine Zementierung des Mythos, dass die einfache Bevölkerung von all dem ja nichts gewusst habe. In meinen Augen krasser Geschichtsrevisionismus.
In filmischer Hinsicht lässt sich gleichwohl wenig aussetzen. Die Schauspieler machen einen soliden Job, der Soundtrack ist etwas zu pathetisch. Doch inhaltlich ließ mich Der Junge im gestreiften Pyjama eben mehrmals zumindest stutzen. Selbst das inhaltlich überraschende Finale, das einen (für derartige Filme ungewohnt) moralisch zerrissen zurücklässt, kann nichts am durchwachsenen Gesamteindruck ändern.
Bild: (c) Miramax
Der Film steht schon länger auf meiner Liste. Ich denke, um die Problematik einschätzen zu können, muss man den Film gesehen haben. Prinzipiell kann ich mir schon vorstellen, dass die im Film gewählte Perspektive funktonieren kann.
Kurze Verständnisfrage:
„Da sitzen die Nazigrößen in einem Vorführraum und sehen sich einen Propagandafilm an, in dem das KZ als eine Art Feriencamp inszeniert wird, mit dem Zweck, die Bevölkerung über die dortigen Gräueltaten zu täuschen. Ich bezweifle, dass es solche Film tatsächlich gab – eine kurze Recherche ergibt ein gegenteiliges Bild“
Ergab die Recherche, dass es solche Filme tatsächlich gab und deine Zweifel falsch waren. Oder dass es solche Filme nicht gab und „Der Junge im gestreiften Pyjama“ ein falsches Bild zeichnet?
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Ja, das würde ich auch gern noch mal wissen🤔
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Warum noch mal? 😉
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@Noch mal“ in Sinne von. „Noch mal“in diesem Leben 😛
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😀 OK.
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Habs korrigiert – die Stelle war tatsächlich sehr missverständlich.
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Danke für den Hinweis, der Satz ist tatsächlich missverständlich formuliert. Mein Recherche ergab, dass es solche Propagandafilme wohl nicht gab. Schon 1938 wurde stattdessen Propaganda mit abgemagerten, verwahrlosten KZ-Häftlingen gemacht
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Danke für die Aufklärung. 👍
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Dem Dank des lieben Kollegen Ma-Go schließe sich mich uneingeschränkt an. 👍😊
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