Im Kino: Shoplifters – Familienbande

Manbiki kazoku, Hirokazu Koreeda, JPN 2018
Ausnahmsweise mal ein deutscher Untertitel, bei dem sich jemand Gedanken gemacht hat. „Familienbande“, so der Anhang, den der deutsche Verleih dem japanischen Film Shoplifters verpasst hat, fasst dessen Grundidee nämlich trefflich zusammen. Und ist dabei auch noch herrlich doppeldeutig.
So steht die „Familienbande“ einerseits für die ideelle Bindung der fünf Menschen, die hier im Mittelpunkt stehen und zwar nicht blutsverwandt sind, sich aber zu einer engen, aus der Not geborenen Gemeinschaft zusammengeschlossen haben. Andererseits sind damit die kleinkriminellen Aktivitäten dieser „Bande“ gemeint, die sich mit kleineren Ladendiebstählen und Betrügereien über Wasser hält.
Schon in der ersten Szene erleichtern die Vaterfigur Osamu (Lily Franky) und der junge Shota (Jyo Kairi) einen Supermarkt um einige Lebensmittel. Einer lenkt ab, der andere steckt ein. Die Beute sichert das Abendessen. Nur das Shampoo – fällt ihnen auf dem verschneiten Heimweg auf – das haben sie leider vergessen. Und noch etwas fällt ihnen auf: ein kleines Mädchen, keine sechs Jahre alt, sitzt allein und verängstigt vor einer Wohnungstür. Osamu nimmt das verstörte und verwahrloste Kind mit nach Hause – die Familienbande bekommt ein sechstes Mitglied.
Shoplifters ist ein Film, dessen Dramaturgie sich nur gemächlich entwickelt. Seine gesamte erste Hälfte widmet er stattdessen der Figurenvorstellung. Sie zeigt uns die „Bande“ beim Abendessen, bei ihren Gaunereien, beim liebevollen Umsorgen des kleinen Mädchens. Sie zeigt, wie die „große Schwester“Aki (Mayu Matsuoka) ein wenig Geld in einer Art Striptease-Bar verdient, wie die Oma das Grab ihres verstorbenen Ex-Mannes besucht, wie Osamu auf dem Bau schuftet und sich dabei den Fuß bricht.
Wenn die Handlung in der zweiten Hälfte in Gang kommt, dann ist das Ergebnis nicht minder stark: Jedoch gibt es im dritten Akt und insbesondere im Finale einige Ungereimtheiten und Unklarheiten. Die bis dato so nachvollziehbaren Protagonisten hinterlassen ab da das ein oder andere Fragezeichen, das Ende kommt abrupt und schließt nicht alle Plotlinien zufriedenstellend ab.
Die große Stärke von Shoplifters ist die Darstellung des Menschlichen und Zwischenmenschlichen. Es sind die kleinen, unfassbar warmherzigen Momente des Glücks – am provisorischen Lagerfeuer, am Esstisch, beim Strandausflug – die den Film tragen und zeigen, dass Familie nicht zwangsläufig Blutsverwandtschaft bedeutet, sondern eine Sache des Gefühls und des Zusammenhalts sind. Nicht umsonst sind Fische als tierisches Hauptmotiv präsent: Der Einzelne ist in diesem riesigen Ozean namens Lebens verloren, nur der Schwarm kann sich behaupten.
Inhaltlich schlägt Shoplifters eine ähnliche Richtung wie Alfonso Cuaróns Roma ein. Atmosphärisch jedoch ist er die komplette Antithese: nicht kalt, hart und unnachgiebig, sondern warm, weich und herzlich. Die Handlung mag gegen Ende Schwachstellen erkennen lassen – doch das Gesamtwerk ist ziemlich sehenswert.
Bild & Trailer: (c) Wild Bunch
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