Im Kino: Wir

Us, Jordan Peele, USA 2019
Mit dem Horror ist das so eine Sache. Nur wenige talentierte Regisseure meistern die schwierige Gratwanderung zwischen Schauer und Anspruch. In seinem Regie-Debüt Get Out gelang Jordan Peele das scheinbar mühelos. Auch wenn das Pendel deutlich mehr in Richtung sozialer Kommentar als in Richtung klassischer Horror schwang. In Wir (einer reichlich misslungenen, aber wohl notwendigen Übersetzung des Originaltitels Us) versucht Peele nun das Gegenteil, bemüht sich jedoch nach wie vor darum, eine sozialkritische Analogie aufzubauen. Und kommt dabei arg ins Straucheln.
Auch wenn die ersten Szenen etwas anderes nahe legen: Rassismus spielt diesmal keine Rolle. Und doch orientiert sich Peele zumindest strukturell an seinem Erstlingswerk: Einem mysteriösen Prolog voller böser Andeutungen folgen eine klassische Introsequenz mit verstörender Musik und eine Geschichte mit einer lupenreinen Fünf-Akt-Struktur, in denen die Spannung sukzessive zunimmt, bis sie sich in einem brutalen Finale entlädt. Im Fokus dieser Geschichte steht die vierköpfige Familie Wilson, bestehend aus Mutter Adelaide (Lupita Nyong’o), dem humorvollen Vater Gabe (Winston Duke), der sportlichen, pubertierenden Zora (Shahadi Wright-Joseph) und dem ADHS-kranken Jason (Evan Alex). Deren Ferienhaus- und Strandurlaub nimmt eine unheilvolle Wendung, als eine andere vierköpfige Familie vor der Tür steht.

Die Handlung schlägt ab da so einige Twists ein, die es verbieten, hier vertiefend darauf einzugehen. Gesagt werden kann zumindest, dass sich Wir zunächst ins Home-Invasion- und anschließend in Slasher-Genre bewegt. Peele beweist dabei durchgehend sein Talent als Regisseur, bebildert und vertont seinen Film zu jeder Sekunde perfekt. Jeder Soundeffekt, jede Einstellung sitzt und erzeugt einen Horror, der sich nicht auf Jumpscares ausruht, sondern eine mal unterschwellige, mal sehr offensiven Spannung bedient. Geradezu verzückend sind die Dialoge, die die Comedy-Handschrift ihres Verfassers erkennen lassen: Selten haben sich Gespräche in einem Horrorfilm derart locker und natürlich angehört. Selbst wenn der Humor (ganz selten) überhand nimmt.
Aber dann ist da auch noch die große Metapher, die Peele aufmachen will – und die leider in einer reichlich nebulösen Pointe resultiert. Einerseits wird am Ende zu viel, andererseits zu wenig erklärt. Was nach dem Verlassen des Kinosaals noch für (positive) Verwirrung und damit potentiellen Gesprächsstoff sorgt, weicht einige Tage später der Erkenntnis, dass sich Peele ein wenig verrannt hat. Das Ganze lässt sich als Reaktion auf die letzten Präsidentschaftswahl, den (für Peele) erschreckenden Wandel in der Gesellschaft oder als recht allgemeiner Kommentar über soziale Klassen und Schichten deuten. Doch beschleicht einen das Gefühl, Peele habe es sich auf der anderen Seite zu einfach gemacht – und wolle auf der anderen krampfhaft komplex sein. Die messerscharfe Botschaft von Get Out weicht verschwommener Ambiguität.
Ob Jordan Peele nun dem „Fluch des ersten Films“ anheim gefallen ist, lässt sich noch nicht sagen. Dass sein zweites Werk nicht an die Klasse seines Erstlings herankommt, ist bedauerlich, aber keine Schande. Wir bietet – insbesondere unter dem Gesichtspunkt des Horrors – noch immer genug, um einen Kinobesuch zu rechtfertigen. Ob man sich aber auch auf all seine Symbolismen und Analogien einen Reim machen kann (und will), ist Geschmacksfrage.
Also, wenn der Film nur im Ansatz hält, was der Trailer verspricht, sehe ich einem grandiosen (Horror)Film entgegen 😊
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Ich wünsche viel Spaß im Kino 🙂
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Sehr schön alles auf den Punkt gebracht. 🙂 Ich war ja jetzt nicht so begeistert, aber ich würde nicht sagen, dass Jordan Peele dem Fluch des ersten Films anheim gefallen ist. Es ist bemerkenswert, wie mutig und hochwertig sein Zweitlingswerk ist und vor allen Dingen eins: kreativ und anders. Auch wenn man die Vergleiche automatisch immer zieht (das tue ich nun mal auch), aber ihn mit Get Out zu vergleichen wird ihm nicht gerecht und tut ihm nicht gut. Am Ende ist es zumindest erfrischendes Kino wie ich finde und dafür bekommt Peele auch meine Anerkennung.
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Ich weiß, der Vergleich ist unfair, weil beide Filme durchaus verschieden sind. Aber in Ermangelung an anderen Werken, drängt sich dieser Vergleich geradezu auf 🙂
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Ja wirklich viel Vergleichbares gibt es wirklich nicht… das muss man dem lieben Herrn Peele schonmal zu Gute halten!
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