Im Kino: X-Men – Dark Phoenix

Simon Kinberg, USA 2019
Nach dem epochalen Abschluss des Marvel Cinematic Universe mit Avengers: Endgame mag der Superhelden-Film vorläufig seinen kommerziellen Zenit überschritten haben. Schluss ist deshalb aber noch lange nicht. Und mit X-Men: Dark Phoenix flimmert bereits das nächste Genre-Exemplar über die Leinwände dieser Welt. Fuhr der Vorgänger Apocalypse noch die ganz großen Pathos-Geschütze auf und ließ einen gottgleichen Antagonisten auf die Welt los, welcher selbige sogleich an den Rand der Vernichtung brachte, schaltet Dark Phoenix nun einige Gänge zurück und besinnt sich wieder auf eine der ureigenen Stärke der Reihe: die inneren und äußeren Konflikte der (Anti-)Helden im Zuge ihrer physischen und mentalen Entwicklung auszuloten.
Denn die Kräfte der X-Men sind stets Fluch und Segen zugleich. Genau das versucht auch Xavier (James McAvoy) der kleinen Jean Grey (Sophie Turner) zu verdeutlichen, nachdem ihre Eltern bei einem Autounfall ums Leben gekommen sind, den ausgerechnet Jean zu verantworten hatte. Xavier reicht dem traumatisierten Mädchen einen Stift und gibt ihr zu verstehen, dass sie damit entweder etwas schreiben oder jemandem das Auge ausstechen könne. Damit wird bereits angedeutet, was einige Jahre später – 1992 um konkret zu sein – geschieht: Bei einer Rettungsmission im All absorbiert Jean unwillentlich eine ominöse kosmischen Wolke, die ihre Kräfte massiv verstärkt.
Für die junge Frau gibt es fortan keine Grenzen mehr und bald schon bedroht sie den brüchigen Frieden zwischen Menschen und Mutanten, für den Xavier zuvor sogar die Leben seiner Schützlinge auf Spiel gesetzt hatte. Die internen Konflikte unter den Mutanten spitzen sich allmählich zu und als einer von ihnen schließlich zu Tode kommt, droht Jean der moralischen Führung des Professors vollends zu entgleiten.
Dark Phoenix versteht sich als Allegorie auf das Erwachsen-Werden und die damit verbundene, massive Transformation der eigenen Identität. Zwischen traumatischen Kindheitserinnerungen, dem Vertrauensverlust gegenüber ihrem Mentor und dem toxischen Einfluss einer obskuren außerirdischen Entität (verkörpert durch eine kühle, aber hinter ihren Möglichkeiten zurückbleibende Jessica Chastain) ist die quasi-pubertierende Jean dazu gezwungen, eine richtungsweisende Entscheidung für sich damit die gesamte Welt zu treffen. Das ist vor allem im weiblichen Kontext spannend: Die Bezüge zur aktuellen Debatte rund um #MeToo sind unverkennbar. Diese Andeutungen wirken jedoch nie erzwungen, sondern fügen sich vergleichsweise organisch in die Handlung ein.
Bis zum letzten Fünftel konzentriert sich Dark Phoenix tatsächlich auf die volatilen Beziehungen zwischen den Figuren und verzichtet fast gänzlich auf Action. Die dominiert dafür das Finale des Films – was leider mit einem Verlust jeglicher Ambivalenz einhergeht. Dann sind die Fronten wieder klar in Gut und Böse unterteilt und Dark Phoenix endet so, wie neun von zehn Superheldenfilmen: mit einem pompösen, aber auch reichlich generischen Abschluss.
Dennoch bildet Dark Phoenix ein würdiges letztes Kapitel der aktuellen X-Men-Timeline, die ja aber ohnehin keine echten Totalausfälle zu verbuchen hatte. Dass es dem Film gelingt, Jean Grey trotz Sophie Turners begrenzter schauspielerischer Fähigkeiten zur aktuell interessantesten Superheldin in einer Protagonistenrolle zu machen, kann man Simon Kinberg (Drehbuch und erstmals auch Regie) jedenfalls hoch anrechnen.
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