Flimmerfreundschaft mit Ma-Go: Enemy

Flimmerfreundschaft: zwei Blogger, zwei Filme, 20 Frage. Klar soweit?
Kollege Ma-Go hat mich freundlicherweise für die vierte Ausgabe seines Formats Flimmerfreundschaft akquiriert. Das Ziel: Wir wählen einen Film aus, den der andere nicht kennt, und schicken ihm zehn Fragen zu, die er dann beantworten muss.
Meine Wahl fiel auf die deutsche Dokumentation The Cleaners, der jene Menschen porträtiert, die für Facebook, Twitter und Google „unangemessene Inhalte“ löschen müssen. Was Ma-Go davon hält, erfahrt ihr natürlich auf seinem Blog.
Für mich hat sich mein Flimmerfreund einen besonderen Film ausgesucht: Denis Villeneuves Enemy, einer der letzten Filme des kanadischen Regisseurs, die ich noch nicht kannte. Kurze Zusammenfassung: Der Geschichtsprofessor Adam (Jake Gyllenhaal) entdeckt eines Tages in einem Film einen Statisten, der exakt so aussieht wie er. Er spürt ihn auf, woraufhin sich ein packender und verwirrender Plot rund unterdrückte Triebe und die Konfrontation mit dem eigenen Ich entwickelt.
Hier nun Ma-Gos zehn Fragen und meine Antworten darauf. Aber Achtung: Es wird gespoilert!
1. Denis Villeneuve gilt als einer der angesagtesten Regisseure Hollywoods. Wie schätzt du seine bisherige Arbeit ein und wo würdest du Enemy in einem Villeneuve-Ranking einordnen?
Zunächst erst mal Danke dafür, dass du mir den nötigen Anstoß gegeben hast, diesen Film endlich zu sehen – es war der einzige der neueren Villeneuve-Filme (also aus diesem Jahrzehnt), den ich noch nicht kannte. Ich halte den Kanadier tatsächlich für einen der derzeit talentiertesten Regisseure in den USA. Für mich ist er eine weniger prätentiöse Version von Christopher Nolan: Er produziert sehr anspruchsvolle Block- und Midbuster quer über alle Genres hinweg, die stets mit einem cleveren Twist daherkommen. Und ich liebe die schwermütige, ja fast schon depressive Grundstimmung, die seine Filme ausstrahlen. Das würde ich so auch für Enemy unterschreiben. Leider muss ich jedoch zugeben, dass ich ihn auf meinem persönlichen Villeneuve-Ranking ganz unten einordnen würde. Mein Eindruck war, dass der Regisseur des übernatürlichen, tiefenpsychologischen Einschlags der Geschichte nicht wirklich habhaft geworden ist. Aber der schlechteste Villeneuve-Film ist immer noch besser als der beste von Paul W.S. Anderson…
2. Ähnliches gilt für den Hauptdarsteller des Film Jake Gyllenhaal. In welchen Filmen ist er dir positiv aufgefallen und wie schätzt du seine Leistung in Enemy ein?
Da fällt mir natürlich sofort Nightcrawler ein! Ich habe immer noch nicht überwunden, dass Gyllenhaal dafür keine Oscar-Nominierung bekommen hat. Auch in Zodiac, Brokeback Mountain und – tatsächlich – Southpaw ist er mir in guter Erinnerung geblieben. Ich sehe ihn eigentlich immer sehr gerne, nicht zuletzt dank seiner deutschen Synchronstimme, die mir extrem gut gefällt. Ich fürchte aber, dass Gyllenhaal seinen Zenit schon überschritten hat. Mir kommt es in jüngerer Zeit immer wieder so vor, als wolle er krampfhaft emotional brüchige Charaktere verkörpern und dies mit aller Macht ausspielen, weshalb seinen Darstellungen bisweilen sehr bemüht und wenig natürlich wirken.
3. Das sogenannte Doppelgänger-Motiv ist im Film und der Literatur sicherlich nicht neu. Fallen dir andere (gute) Filme ein, die dieses Motiv behandeln oder aufgreifen?
Zuerst kommt mir da Jordan Peeles Wir in den Sinn, der ist ja auch noch ziemlich frisch. Da wurde das Doppelgänger-Motiv genutzt, um soziale Ungleichheit zu thematisieren. Außerdem noch The Prestige von Christopher Nolan, den ich damit nun wohl gespoilert habe. Ups… David Lynch soll in Mulholland Drive und Lost Highway ja auch auf Doppelgänger gesetzt haben, von diesen beiden Filmen ist mir aber nur noch wenig im Gedächtnis. Würde allerdings passen – Enemy hat ja ebenfalls eine starke Lynch-Note. Michael Bays Die Insel fiele mir noch ein, aber du hattest ja nach guten Filmen gefragt…
4. Welche Szene war deiner Meinung nach die stärkste im Film?
Schwierige Frage, es gab nämlich keine Szene, die wirklich herausgestochen hat. Wenn ich mich aber entscheiden müsste, würde meine Wahl auf die erste Begegnung der beiden Gyllenhaals fallen. Das ist erzählerisch der wichtigste Augenblick, schließlich herrscht erst, wenn wir beide im selben Bild sehen, Gewissheit darüber, dass es sich um zwei verschiedene Personen handelt. Wobei sie auf metaphorischer Ebene natürlich ein und derselbe Mensch sind.
5. In einem Interview zum Film sagt Villeneuve folgendes: „This movie is a documentary about my subconscious. Or a documentary about Jake Gyllenhaals subconscious. I don’t know which one.“ Was glaubst du meint er damit?
Klingt nach klassischem Künstlersprech… Natürlich will Villeneuve in einem Interview nicht die Lösung des Rätsels offenbaren und die Interpretation lieber dem Zuschauer überlassen. Möglicherweise haben ja aber tatsächlich beide – also Villeneuve und Gyllenhaal – massive Probleme damit, sich an Frauen zu binden. Wäre zwar ein großer Zufall, aber soll es ja geben…
6. Ein wiederkehrendes Element in Enemy sind die Spinnen. Was denkst du haben die Viecher zu bedeuten?
Das ist natürlich die größte Frage, die sich nach diesem überraschenden Finale stellt. Ich habe höchstwahrscheinlich nicht die klügste Antwort parat, denke aber, sie verkörpern das unterbewusste Bild, das unser Protagonist von den Frauen in seinem Leben hat. Offensichtlich hat er große Hemmungen, sich zu binden, sieht das als eine Form der Kontrolle und der Unterdrückung von Individualität, wenn man sich die Aussagen in seiner Vorlesung vor Augen führt. Das Fass zum Überlaufen brachte dann wohl, dass seine Frau schwanger wurde, weshalb er eine Affäre begann. Einige Spinnenarten verspeisen nach der Paarung ja bekanntlich ihre Männchen, vor allem aber fangen sie ihre Beute in Netzen – und davon gibt es in Enemy eine ganze Menge, etwa die Stromleitungen der Straßenbahnen. Die riesige Spinne, die in einer Einstellung durch die Stadt stampft, wäre dann wohl die Mutter; die Tarantel wiederum die schwangere Freundin, die zu Beginn des Films noch winzig ist (und in Adams Vorstellung von einer Prostituierten zertreten wird), am Ende jedoch zu einem riesigen Monstrum angewachsen ist.

7. Welcher Art von Filmguckern würdest du dich eher zuordnen? Jenen, die Spaß daran haben Filme wie Enemy, die offensichtlich eine tiefere Bedeutung haben, zu interpretieren und zu entschlüsseln? Oder eher denen, die mehr Freude an der visuellen Gestaltung der Bilder finden als an deren Deutung?
Wohl eher Letzteres. Ich bin kein Freund von extrem symbolbehafteten Geschichten und Bildern – zumindest wenn mir zu wenige Ansätze für eine Interpretation gegeben werden (I’m looking at you, 2001…). Enemy schrammte da stellenweise scharf an der Grenze entlang. Ich würde mich aber auf keine der beiden Positionen endgültig festlegen wollen.
8. Würdest du Enemy einer Person aus unserer kleinen Bloggergemeinschaft weiterempfehlen (unabhängig davon, ob er/sie diesen schon kennt)? Was denkst du, ist die generelle Zielgruppe eines solchen Films?
Klar, es ist ein Film von Denis Villeneuve, eine Empfehlung gibt es also in jedem Fall! Die Zielgruppe würde ich allerdings anders einschätzen, als bei Villeneuves übrigen Filmen: Die waren für jeden interessant, der niveauvolles, spannungsgeladenes und intensives Kino mag. Enemy ist da deutlich gemächlicher und abstrakter – insgesamt also eher etwas für klassische Arthouse-Fans. Ach so, und natürlich Freudianer, denn dieser Film ist garantiert ein Fest für psychoanalytische Ansätze…
9. Wie deutest du das Ende des Films? Findest du es für einen passenden/guten Abschluss?
Der Abschluss war zumindest eine große Überraschung – die größte des gesamten Films, möchte ich meinen. In meinen Augen tatsächlich ein starker Abschluss, der einen natürlich erst mal vollkommen ratlos zurücklässt. Genau darin liegt aber sein Mehrwert. Und in meine Interpretation der Spinnen-Metapher passt er ebenfalls ziemlich gut hinein. Erst recht, wenn man sich ansieht, was direkt davor geschieht: Der (durch den Unfall) geläuterte Adam kehrt endlich zu seiner schwangeren Frau zurück, alles scheint wieder gut zu sein, doch dann öffnet er den Umschlag mit dem Schlüssel (auch ein wichtiges Motiv des Films!) zu dem ominösen Sexclub vom Anfang – und ist sofort wieder in seinem alten Muster gefangen, ruft er doch seiner Frau zu, dass er heute Abend mal wieder ausgehen wolle. Und schon sind die inneren Dämonen wieder da. Das wird ja in einer seiner Vorlesungen bereits angedeutet, wenn er Hegel und Marx zitiert: Jedes Ereignis der Weltgeschichte wiederholt sich – das erste Mal als Tragödie, das zweite Mal als Farce. Worauf genau die beiden Philosophen mit dieser These hinaus wollten, erschließt sich mir zwar nicht, aber es erklärt zumindest das Finale halbwegs.
10. Wie hat dir meine Filmauswahl für dich abschließend gefallen und wie siehst du die Chancen auf ein Fortbestehen unserer Flimmerfreundschaft?
Eine sehr schöne Filmauswahl, die eine kleine, persönliche Lücke geschlossen hat – alles bestens also. Doch selbst wenn du mir Girls with Balls oder ähnliches aufgetragen hättest, würde die Flimmerfreundschaft weiter bestehen 😉
Das war’s dann auch schon fürs erste mit unserer Flimmerfreundschaft – zumindest in der Öffentlichkeit 😉
Hier nochmal der Link zu Ma-Gos Beitrag: Klick!
„Leider muss ich jedoch zugeben, dass ich ihn auf meinem persönlichen Villeneuve-Ranking ganz unten einordnen würde. Mein Eindruck war, dass der Regisseur des übernatürlichen, tiefenpsychologischen Einschlags der Geschichte nicht wirklich habhaft geworden ist. Aber der schlechteste Villeneuve-Film ist immer noch besser als der beste von Paul W.S. Anderson…“
Oh Mann. 😀
„Enemy“ gehört für mich zu den besten Villeneuves. Vielleicht sogar der beste. Das liegt aber auch daran, dass ich auf Frage 7 etwas anders geantwortet hätte als du. Ich mag es Symbole und Subtexte zu entschlüsseln. <Allerdings nur dann, wenn ich einen Zugang finde. Beim angesprochenen Mulholland Drive zum Beispiel ist mir das überhaupt nicht gelungen, sodass ich mit dem Film leider gar nichts anfangen kann.
Schön übrigens, dass du offensichtlich meine Interpretation zum Film gelesen hast. Auch wenn das schon eine Weile her sein mag, ist scheinbar im Unterbewusstsein etwas hängen geblieben 😉
Bis zum nächsten mal 🙂
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Tja, so unterschiedlich können Geschmäcker sein 😅 Mein liebster Villneuve ist nach wie vor „Die Frau die singt“.
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Das ist glaube ichd er einzige, den ich noch nicht gesehen habe. ABER! Den habe ich, Free TV sei dank, kürzlich aufgenommen. 😉
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Na dann schau ihn dir erstmal an und dann reden wir nochmal 😉
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Ist neben The Arrival und Blade Runner 2049 vielleicht sogar auch mein liebster Villeneuve 🙂
Ich erinnere mich jetzt noch, wie fertig ich nach dem Ende des Films war und mich erstmal noch Stunden lang mit ihm befasst habe
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Arrival fand ich auch toll. Aber auf jeden Fall schwächer als Enemy. Ich glaube für Blade Runner gilt ähnliches. Mein Ranking:
1. Enemy
2. Blade Runner
3. Prisoners
4. Arrival
5. …
6…
7. Sicario
😉
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Endlich auch jemand der mit Sicario nich so viel anfangen kann 😀
Nun Arrival und Blade Runner habe ich beide schon mehrmals gesehen, Enemy noch nicht. Der Unterschied für mich ist ich könnte die beiden erstgenannten jederzeit mir reinziehen, aber Enemy wohl eher nicht so, auch wenn er mich krass geflashed hat 😀
Von Prisoners war ich auch gar nicht so ein Fan, dem wollte ich aber nochmal ne Chance geben
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Sicario ist grundsätzlich erst mal vollkommen in Ordnung. Aber aus meiner Sicht hat der Film rein gar nichts, das ihn besonders macht. Deswegen fällt er im Vergleich einfach deutlich ab.
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Ich liebe diesen Film. Als der im Kino lief, habe ich den 5x gesehen… weil ich jeden da reingeschleppt habe, den ich kannte.
Coole Aktion übrigens. 👍
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Also 5 mal Kino ist schon echt hart 😅
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Ich habe sogar das Buch gelesen, aber das ist sogar noch ein wenig undurchsichtiger als der Film.
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Hatte ich gar nicht mehr auf dem Schirm, dass es dazu eine Vorlage gibt.
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Jose Saramago „Der Doppelgänger“… Aber wie gesagt, das Buch hilft auch nicht viel weiter, ist aber trotzdem toll 😅
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… und dabei bist du in einer der Fragen extra auf das „Doppelgänger-Motiv in Film und Literatur“ eingegangen ^^
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