Once Upon a Time in Hollywood

Quentin Tarantino, USA 2019 – Disclaimer: Meinung kann Spuren von Kontroversität enthalten.
„Das war der schlechteste Film, den ich dieses Jahr im Kino gesehen haben“, war der erste Gedanke, als ich den Saal nach dem Abspann von Once Upon a Time in Hollywood verließ. Bevor mich nun alle lynchen: Nachdem ich ihn ein zweites Mal gesehen hatte, wandelte sich meine Meinung zum neunten Film von Kultregisseur Quentin Tarantino zum Besseren. Allerdings nur dezent. Und so komme ich – nun, wo ich ausreichend Zeit hatte, das alles zu überdenken – trotz allem zu dem Schluss: Once Upon… ist kein guter Film und der schlechtesten im sonst herausragenden Œuvre des 56-Jährigen. Die Gründe dafür sind vielzählig und vielfältig. Es fällt mir schwer, diese konkret zu verschriftlichen. Ich will es dennoch versuchen.
Der erste Grund ist grundsätzlicher Natur: Once Upon… verweigert sich einer echten Narrative. Stattdessen zeigt Tarantino zwei unspektakuläre Tage im Leben dreier Figuren, die im Hollywood von 1969 leben. Da ist zuvorderst der Western-Schauspieler Rick Dalton (Leonardo DiCaprio), der den Zenit seines Schaffen überschritten hat und nur noch mit kleinen Rollen in den Pilotfolgen neuer Serien abgespeist wird. Der schmierige Produzent Marvin Schwarz (Al Pacino) offeriert ihm die Möglichkeit, in Rom Spaghetti-Western zu drehen, was zwar eine sichere Bank wäre. Doch Dalton hofft weiterhin auf den großen Wurf und gibt deshalb bei seiner Performance für eine neue Serie alles – was mit extremen Höhen und Tiefen verbunden ist.

Die zweite Figur: Cliff Booth (Brad Pitt), seines Zeichens Stunt-Double, Chauffeur und Dienstbote von Rick Dalton und charakterlich dessen komplettes Gegenteil. Im Vergleich zum labilen Schauspieler ist Booth ist die Ruhe und Coolness in Person (und der heimliche Star des Films), ganz so als wäre er eben nach einer phänomenalen Leistung auf den Wellen von seinem Surfbrett abgestiegen. Aufgrund eines früheren Zerwürfnisses erhält der Stuntman keine Arbeit mehr. Während Dalton in einer pompösen Villa in den Hollywood Hills residiert, verbringt Booth seine Abende deshalb in einem abgelegenen Wohnwagen bei Bier, Fertignudeln, TV und seiner treuen Hündin. Dann lernt er ein Hippie-Mädchen (Margaret Qualley) kennen, das ihn auf die Spahn-Ranch führt, wo die Manson-Family lebt. Es kommt zur ein oder anderen skurrilen Begegnung.
Figur Nummer drei: Sharon Tate (Margot Robbie). Die ist gemeinsam mit ihrem Ehemann Roman Polanski kürzlich in das Haus neben dem von Rick Dalton gezogen und feiert erste Erfolge als Darstellerin. Tarantino inszeniert sie als naives, lebensfrohen Mädchen, das einen Ausflug in die Stadt nutzt, um ihren eigenen Film im Kino zu sehen und vom Publikum jene Bestätigung zu bekommen, die sie in ihrer jungen Karriere noch braucht.
Um eines gleich festzuhalten: Die Figuren von Once Upon… sind Tarantino-üblich absolut ikonisch und die Darstellerleistungen herausragend. Ersteres gilt allerdings nur für Rick Dalton und Cliff Booth. Sharon Tate bleibt als Charakter hingegen flach und eindimensional. Am Ende gibt es keine nennenswerte Eigenschaften, die man ihr zuschreiben könnte – außer, dass sie gerne tanzt. Das eigentliche Problem ist jedoch, dass diese tollen Figuren keine Erzählung bekommen, in der sie sich entfalten und entwickeln können. Denn trotz der Tatsache, dass ich hier schon vergleichsweise viel geschrieben habe: Eine Story ist in Once Upon a Time in Hollywood quasi nicht existent.

Das muss per se nicht schlimm sein. Ein solcher Ansatz hat ja etwa auch in Everybody wants some!! (Richard Linklater) oder Beach Bum (Harmony Korine) funktioniert. Die große Gemeinsamkeit zwischen den genannten Filmen und Once Upon… besteht darin, dass sie vorrangig ein Zeitporträt sein wollen. Tarantino erfüllt diesen Anspruch insofern, als dass er die Atmosphäre und den Lifestyle des 69er Hollywood perfekt einfängt. Musik, authentische Kulissen, Kleidung, Plakate und Requisiten leisten ihm effektive Beihilfe. Das allein macht aber noch keinen guten Film. Dazu bedarf es beispielsweise interessanter Dialoge, die zumindest irgendetwas von Bedeutung oder inhaltlich relevantes transportieren. Dieses so markante Markenzeichen des Kultregisseurs vermisst man in Once Upon… schmerzlich. Die Gespräche formen zwar die Charaktere, doch fehlt ihnen der narrative Rahmen, um Wirkung und Suspense zu entwickeln.
Der Plot mäandert deshalb zwei Stunden vor sich hin. Mehrere Szenen (etwa Rick Daltons Western-Drehs) werden endlos in die Länge gezogen, die drei Hauptakteure agieren weitestgehend neben- statt miteinander. Oder vielmehr reagieren sie nur. Denn anstatt einer eigenen Agenda zu folgen, lassen sich die drei im Wesentlichen vom Alltag treiben, was maßgeblich zur Trägheit des Film beiträgt. Mindestens genau so viel trägt dazu die Tatsache bei, dass Once Upon… keinerlei Spannung aufbaut. Dies wird komplett dem Zuschauer überantwortet, der sich permanent fragen soll, wie und wann nun endlich die Manson-Morde eingebunden werden. Doch funktioniert dies sogar mit dem entsprechenden Vorwissen bestenfalls mäßig – und ohne überhaupt nicht.
Weshalb auch das Ende ein Rohrkrepierer ist. An dieser Stelle eine milde Spoiler-Warnung: Tarantino versucht mit dem Finale etwas ähnliches wie in Django Unchained, will also fiktionale Genugtuung für ein realhistorisches Ereignis erzeugen. Da zuvor jedoch weder Spannung noch eine antagonistische Position aufgebaut wird, verpufft dieser Ansatz in einer Wolke der Geschmacklosigkeit und Willkür – und bescherte mir eines der unangenehmsten Kino-Erlebnisse, das ich seit langem hatte. (Wer näheres hierzu hören will, dem sei die 15. Ausgabe unseres Podcasts empfohlen.) Das tatsächliche Ende gibt sich dann angenehm versöhnlich: Tarantino schafft hier den ideologischen Schulterschluss zwischen TV und Kino, zwischen Old und New Hollywood. Immerhin diese Pointe funktioniert.
Tarantino war stets ein Fan des Genres. Seine frühen Werke waren Vorbeugungen vor und Hommagen an altehrwürdige Gattungen wie den Western, den Kung-Fu- oder den Mafia-Film. Und trotzdem verpasste er den Elementen, die er zitierte und übernahm, immer einen eigenen Spin, kreierte aus Altem etwas Eigenes, Neues, Subversives. In Once Upon… hingegen verbeugt er sich demütig vor einer Zeit, in der vieles im Umbruch war: die amerikanische Gesellschaft im allgemeinen und Hollywood im speziellen.
Was Potential für eine interessante und spannende Geschichte gehabt hätte, verkommt zu einem verklärten Nostalgie-Trip, der formal und atmosphärisch viel zu bieten hat, vor Referenzen nur so überquillt und grandiose Darsteller zeigt – inhaltlich aber viel zu dünn ist und sich geradezu einschläfernd vor sich hin schleppt. Ein Film, der zwingend Vorwissen über den Zeitgeist, die damalige Kultur und die grauenhaften Manson-Morde verlangt und deshalb nicht für sich allein stehen kann. Ein Film, im dem der Regisseur in erster Linie sich selbst und sein allumfassendes filmisches Wissen abfeiert, dabei aber (ganz im Gegensatz zu seinen anderen Werken) das Publikum aus den Augen verloren hat.
Das macht Once Upon a Time in Hollywood zwar zu einer sehr hübschen, aber dennoch inhaltsarmen Hülle. Und zur größten Kinoenttäuschung des Jahres 2019.
Ich weiß ehrlich gesagt nicht was ich von Once Upon a Time in Hollywood halten soll. Irgendwie mag ich den Film aber andererseits fehlt mir die Substanz, um mich übermäßig für den Streifen zu begeistern. Ich hatte während und in den Tagen nach der Sichtung immer das Gefühl, dass der Film eine aneinanderreihung zusammengewürfelter Szenen ist, die nur durch einen losen Kontext miteinander verbunden sind. Ich kann zwar einen roten Faden erkennen aber viele Aspekte des Films verlieren sich im nichts oder wir irrerelevant.
Für mich ist das zwar nicht der schlechteste Film des aktuellen Kinojahres aber bei weitem auch kein Highlight. 🤔
LikeGefällt 2 Personen
Sehr schöne Zusammenfassung – da empfinden wir ganz ähnlich, mit der Ausnahme, dass ich mir inzwischen recht sicher bin, dass ich diese Substanzlosigkeit sehr, sehr kritisch sehe…
Wer weiß, vielleicht sehe ich ihn in ein paar Jahren nochmal und finde – ähnlich wie bei Death Proof, der mir auch erst nachträglich Spaß gemacht hat – doch noch Gefallen an ihm. Oder vielleicht kommen doch noch mehr Leute nach einiger Zeit zum Schluss, dass der Hype sie geblendet hat und sie den Film doch nicht so gut fanden ^^
LikeGefällt 1 Person
Tarantino-Filme waren für mich entweder immer sehr gut, oder eben sehr schlecht. Once Upon….ist für mich irgendwie dazwischen angesiedelt.
Allerdings ging es mir wie dir. Ich habe den Film auch erst bei der 2. Sichtung anders wahrgenommen und letztlich auch besser bewertet.
Als ich das erste Mal im Kino saß, hab ich schon häufiger auf die Uhr geschaut und hab so einige Längen wahrgenommen. Es dauert sehr lange, bis mir klar wurde, wohin die Reise gehen sollte. Umgehauen haben mich dann aber – übrigens auch noch beim 2. Mal – die eiskalte Geschichtsfälschung und die nicht (mehr) zu erwartenden Gewalteruptionen. Hierzu sei mal angemerkt, dass in puncto Sharon Tate ein Großteil des Publikums (beider besuchter Vorstellungen) nicht die geringste Ahnung hatten, wer das überhaupt war und was ihr schreckliches Schicksal war. Somit ist dieser „Gag“ des Plots bei vielen überhaupt nicht angekommen. Schon merkwürdig. Und auch ein bisschen erschreckend, da meiner Meinung nach, das Wissen zum die Ereignisse vom August 69 nicht unbedingt nur Filmkennern vorbehalten sein sollte. Aber vielleicht lege ich da ich zu hohe Maßstäbe an die Allgemeinbildung an.
Auf jeden Fall habe ich den Film bei meinem 2. Kinobesuch als wesentlich kurzweiliger und stringenter erzählt empfunden. So konnte ich mich auch besser auf all die offensichtlichen und versteckten Referenzen an das alte und das NEW Hollywood konzentrieren. Nein, es ist nicht Tarantinos bester aber ganz sicher auch nicht sein schlechtester Film. Ich würde 7 von 10 Punkten geben, wenn ich bewerten sollte/würde/müsste.
LikeGefällt 1 Person
Jedem sei seine Meinung gegönnt 🙂
Die Referenzen waren mir ehrlich gesagt zu spezifisch, als dass ich damit hätte viel anfangen können. Wie geschrieben kam es mir so vor, als würde Tarantino hier in erster Linie sein Filmwissen abfeiern.
Ob es zu viel von den Leuten verlangt ist, zu wissen, wie es sich damals richtig zugetragen hat? Gute Frage, würde ich zumindest aber für Deutschland (und speziell den Osten, wo ich herkomme) mit Ja beantworten. Das Ganze ist immerhin schon 50-Jahre her und war wohl vor allem ein amerikanischen Thema…
Und ja, beim zweien Mal fand ich ihn auch kurzweiliger, aber nicht, ich fand ihn nicht stringenter.
LikeGefällt 1 Person
Ich denke, es macht den Film nicht besser oder schlechter, wenn all die Referenzen nicht oder nur teilweise mitbekommt. Und – da gebe ich dir vollkommen recht – es ist zum Teil schon wirklich sehr speziell. grad dann nicht, wenn man „kein Kind der Zeit“ ist. Bin ich auch nicht und habe ganz sicher auch nicht jede (offensichtliche oder versteckte) Anspielung gerafft. Da gibt es also durchaus noch etwas zu entdecken, wenn man Spaß dran hat😊
LikeGefällt 1 Person
Ging mir ähnlich mit dem Film. Zwar kann ich nicht behaupten, dass er der schlechteste war, den ich gesehen habe, aber er hat mir sehr wenig gegeben. Unter meiner Besprechung habe ich gelernt, dass das die meisten anders empfunden haben. Aber letzten Endes fehlt mir wie dir die Narrative und ich empfand den Film als unangenehm, da er mir zu sehr nach „Ich mach mir meine heile Welt wie sie mir gefällt“ aussah, in der die alten Herren den Tag retten dürfen. Den Tag, den in der Realität niemand gerettet hat.
LikeGefällt 1 Person