Joker

Todd Phillips, USA 2019 – Als vor einiger Zeit verkündet wurde, dass Hangover-Regisseur Todd Phillips einen Film über den Joker drehen würde, hätte mein Interesse kaum geringer sein können. Daran änderte auch der Fakt nichts, dass der großartige Joaquin Phoenix die Hauptrolle übernehmen sollte. Erst der Trailer weckte meine Neugier. Und als der Hype mit der Verleihung des Goldenen Löwen in Cannes dann so richtig Fahrt aufnahm, sprang auch ich auf den Zug auf – wenngleich ich mich vorsichtshalber im hinteren Abteil aufhielt. Das war wohl die richtige Entscheidung, denn so wurde ich im Kino – im positiven Sinne – überrascht. Und überwältigt.
Schon der Beginn ist ein Fest und fängt die Essenz von Joker perfekt ein. Da sitzt Arthur Fleck (Phoenix) vor einem Spiegel, bereitet sich auf seinen Job als Alleinunterhalter, Clown und Werbemaskottchen vor. Das Gesicht weiß, die Lippen rot, die Augen schwarz bemalt. Wichtiger als die Schminke ist jedoch sein Lächeln – und damit hat Arthur sichtlich Mühe. Die Finger zerren die Mundwinkel nach oben bis es schmerzt, ein einsame Träne fließt. Dieser Mann macht gute Miene zum bösen Spiel, bereits eine Ewigkeit. Denn sein Leben im kriminellen und vermüllten Gotham City ist schwer. Arthur schlägt sich mit undankbaren Gelegenheitsjobs rum, muss wöchentlich zur Therapie und kümmert sich um seine schizophrene Mutter. Er solle die Menschen zum Lachen zu bringen, sagt sie immer. Doch wie soll das in solch einer feindseligen Welt gelingen?

Meist ist Arthur der einzige, der lacht. Unfreiwillig. Denn Arthur leidet an einer neurologischen Störung: In den denkbar unpassendsten Momenten bricht schallendes Gelächter aus ihm heraus. Das schlimmste an einer psychischen Erkrankung sei, dass die Menschen erwarten, man sich so verhalte so, als hätte man keine, lautet einer der Sätze, die Arthur in sein Tage- und Notizbuch schreibt und damit das Dilemma seiner Existenz auf den Punkt bringt: Er will zur Gesellschaft gehören – doch sie lässt ihn nicht. Als seiner Therapie die Mittel gestrichen werden, er seinen Job verliert und seine Mutter erkrankt, beginnt für Arthur der scheinbar unvermeidliche Weg in die Abgründe des Wahnsinns und der Kriminalität.
Joker einen Superhelden-Film zu nennen, weckt falsche Erwartungen. Immerhin wurde dieses Genre in den vergangenen Jahren vom bunten Pop-pourri des Marvel Cinematic Universe dominiert. Joker ist das genaue Gegenteil: eine düstere, pessimistische, ja zynische Charakterstudie, das Porträt eines Menschen, eines Extremfalls, den das Schicksal härter trifft, als alle anderen. Der Film bietet dem Publikum einen empathischen Zugang zu dieser Figur, ohne jedoch dessen Handeln als heroisch oder nachahmenswert zu stilisieren. Denn so sehr Arthur seine Taten auch rechtfertigt, so sehr verweigert sich der Film selbst einer endgültigen Bewertung und überlässt sie stattdessen dem Zuschauer.

Zentraler Konfliktpunkt ist der gesellschaftliche Graben zwischen Eliten und Unterschicht, der im Laufe der Handlung immer breiter wird. Auf der einen Seite steht Thomas Wayne als Vertreter eines neoliberalen Systems, in dem jeder für sein eigenes Wohl verantwortlich sein soll und sich selbst überlassen wird. Auf der anderen Seite warten die Armen und die Marginalisierten nur auf den nötigen Trigger, um auf die Barrikaden zu gehen. Eine solche Konstellation bedingt, dass Joker selbstverständlich ein politischer Film ist. Und dass jeder, der nach einem entsprechenden Statement sucht, auch eines finden wird. Joker jedoch zu unterstellen, dass er Eliten-Hass schüre und Gewalt als einzig mögliche Lösung propagiere, ist zu simpel. Der Film lässt sich eher als Mahnung lesen. Wer nicht die eine politische Pointe sucht und stattdessen Ambivalenz und Zwischentöne zulässt, erkennt, dass die Kategorien Gut und Böse hier vollständig aufgelöst werden. Joker zelebriert das Uneindeutige und stellt zahlreiche Fragen, ohne Antworten zu geben. Man könnte sagen, dass darin seine Stärke liegt.
Der Konjunktiv ist deshalb nötig, weil Jokers wahre Qualitäten an anderen Stellen zu finden sind. Allem voran in der alles überragenden Leistung des Hauptdarstellers, der hiermit die (vorläufige) Performance seines Lebens abliefert und dem Joker eine weitere, unvergessliche Interpretation für die Kino-Chroniken beschert. Die verfolgt zwar einen anderen Ansatz als die von Heath Ledger aus The Dark Knight, ist ihm aber ihm wenigstens ebenbürtig. Ledger machte den Clown zum unnahbaren, wilden Anarchisten. Phoenix verkörpert ihn als kafkaeske Figur, die unter der Last ihrer Umgebung zusammenbricht und einen Ausweg im Gewaltexzess findet. Der Dark-Knight-Joker nutzte Schminke als Kriegsbemalung, für den Joker-Joker ist sie die Maske, die er braucht, um in seiner Umwelt zurecht zu kommen. Mindestens so sehr wie die Mimik (mit der Phoenix mühelos Freude und inneren Schmerz zugleich zu vermitteln) beeindruckt die Körpersprache. Arthurs hypnotische Tanzeinlagen sind ein meditativer Akt, um wieder Kontrolle über sich selbst zu erlangen. Und die Wunden auf dem ausgemergelten Torso die Male, die ihm diese „immer verrückter“ werdende Welt zugefügt hat.
Auch wenn es Phillips in den intimen Momenten mit der Musik etwas heftig angeht (mehr Cello geht nicht), so lässt auch die Inszenierung kein ein anderes Wort zu als: hervorragend. Ein derart dreckiges und zugleich so un-comichaftes Gotham, in dem aus jeder Straßenecke „Du bist hier nicht willkommen“ zu schallen scheint, ist ein Novum. Kameramann Lawrence Sher fängt diese Kulissen mit viel Bodenständigkeit und in klaren Bildern ein, die ganz klar die Figuren in den Fokus rücken. Da ist es auch nicht schlimm, wenn das Drehbuch in zwei Momenten akut an Über-Erklärung leidet: Dank der darauffolgenden Einstellungen und einer pointierten Akustik sind solche Plot-Schwachstellen schnell vergessen. Und nicht zuletzt hat sich Robert De Niro endlich mal wieder ein Lob verdient: Seine Verkörperung des Late-Night-Moderators, Vater-Ersatzes und Mit-Antagonisten Murray Franklin ist mehr, als nur eine Verbeugung vor den beiden filmischen Vorbildern Taxi Driver und The King of Comedy. Sie ist tatsächlich richtig gut.
Joker ist kein perfekter Film. Vor allem im Hinblick auf das Drehbuch. Und dennoch: Wie er die Intensität eines Charakterdramas über die Figur des Jokers stülpt, sie damit (zumindest etwas) von ihrer Meme-haftigkeit befreit und zu einem Charakter macht, dessen Entwicklung den Zuschauer völlig versinken lässt, ist eine der eindrücklichsten Kino-Erfahrungen der jüngeren Vergangenheit. Eine un-perfekte Großtat.
Bilder & Trailer: (c) Warner Bros.
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Ging mir wie dir… als ich hörte, dass Todd Philipps das macht, dachte ich auch erst: Das wird nie was. Aber es wurde doch was. Krasser Film. Ich hoffe, DC setzt jetzt mehr auf solche Einzelfilme.
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