Mit der Faust in der Tasche

I pugni in tasca, Marco Bellocchio, ITA 1965 – Selten ist mir der Einstieg in einen Film so schwer gefallen, wie beim italienischen Sozial- und Familiendrama Mit der Faust in der Tasche. Und doch hat sich das Durchhalten gelohnt.
Regisseur Marco Bellocchio lässt den Zuschauer anfangs völlig in die (narrative) Leere laufen: Die erste halbe Stunde besteht aus einer scheinbar zusammenhangslosen Aneinanderreihung kurzer Einzelszenen, in denen die Figuren so miteinander agieren, als würden wir sie schon längst kennen. In welchem Verhältnis sie zueinander stehen, welche Charakterzüge sie kennzeichnen, welche Probleme sie plagen – das muss man sich nach und nach selbst erarbeiten. Gute Exposition geht anders.
Ist man aber mal drin in der Handlung, wird aus Mit der Faust in der Tasche ein extrem intimes und komplexes Drama mit Anleihen an den italienischen Neorealismus und zwei schockierenden Wendungen, die einem wahrlich den Atem rauben. Im Mittelpunkt steht der junge Alessandro (Lou Castel), der mit Epilepsie, depressiv-suizidalen Tendenzen und einer etwas zu großen Zuneigung zu seiner Schwester zu kämpfen hat. Gemeinsam mit seinen zwei Brüdern – der eine zurückgeblieben, der andere der Brotverdiener – und seiner blinden Mutter lebt er in einem riesigen Haus, das sich die Familie aber nicht leisten kann. Die Probleme nehmen ihren Lauf und münden in einer Katastrophe.
Die nüchterne, distanzierte Erzählweise und der Einstieg machen Mit der Faust in der Tasche zu einem alles andere als leichten Film – was seinen Themen völlig angemessen ist. Bellocchio arbeitet sich hier an dem schwierigen Verhältnis zwischen Kriegs- und Nachkriegsgeneration ab, zeigt moralische Gräben auf und die Wunden, die sie reißen. Anstatt jedoch wild mit dem Zeigefinger um sich zu wedeln, lässt er Figuren und Situationen für sich sprechen. Dabei kann man sogar die ein oder andere Parallele zum Joker erkennen – außer, dass hier auf eine gesamtgesellschaftliche Betrachtung verzichtet wird. Der Blick in den Mikrokosmos dieser Familie ist aussagekräftig genug.
Mit der Faust in der Tasche in der arte-Mediathek.
Beitragsbild: (c) Arte/Ad Vitam/Doria Cinematografica