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Der Leuchtturm

The Lighthouse, Robert Eggers, USA 2019 – Nach einem enttäuschenden Kinosommer hätte ich das aktuelle cineastische Jahr beinahe abgeschrieben. Dann kamen Parasite, Joker und Le Mans 66. Und nun folgt mit Robert Eggers zweitem Langspielfilm Der Leuchtturm ein weiteres Werk, das ein äußerst heißer Kandidat auf die oberen Plätze meiner Jahres-Endliste ist.

Ganze vier Jahre ist es bereits her, seit Eggers‘ mit seinem intensiven Debütwerk The Witch einen ebenso effektiven wie ungewöhnlichen Horrorfilm inszenierte. Angesiedelt im 17. Jahrhundert schilderte diese New-England Folktale, so der englische Untertitel, die dramatische Geschichte einer tiefreligiösen Familie, deren Glaube langsam in Paranoia umschlägt und sie schließlich zerfrisst. Der Leuchtturm erzählt einen, im Kern, ähnlichen Plot über Abgeschiedenheit und Wahnsinn. Und auch atmosphärisch sind die Parallelen unverkennbar. Trotzdem gibt es einige deutliche Unterschiede.

Der eklatanteste davon ist formaler Natur. Wie schon in The Witch bedient sich Eggers eines Stilmittels, das den Film in der zeitlichen Epochen verorten soll, in der er spielt. Im Vorgängerfilm war es die authentische Sprache (Frühneuenglisch). In Der Leuchtturm, der Ende des 19. Jahrhunderts angesiedelt ist, ist es hingegen die Ästhetik der ersten Jahre des Films, der just zu dieser Zeit erfunden wurde. Bedeutet konkret: Das Bildformat ist quadratisch, ihr Inhalt farblos und grobkörnig. Und als wäre das nicht schon Mainstream-untauglich genug, besteht der Film im Wesentlichen aus den Streitereien zweier Männer, die gemeinsam auf einer kleinen Insel hocken und den namensgebenden Leuchtturm hüten müssen.

Willem Dafoe in „Der Leuchtturm“. (c) Universal

Verkörpert werden diese Männer von Willem Dafoe und Robert Pattinson. Der Ältere, Thomas Wake, gibt vor, ein erfahrener Seemann zu sein, spinnt gern mal den dazu passenden Garn und beharrt konsequent auf seiner altersbedingten Autorität. Der Jüngere, Ephraim Winslow, ist erstmals in seinem Leben auf der Leuchtturm-Insel und dabei Wakes willfähriger Azubi, anfangs noch penibel auf die Vorschriften achtend und jede Aufgabe, wenn auch zähneknirschend, erfüllend. Doch bald ergreift Winslow der Frust – und er wird größer, je öfter ihm dieser alte Spinner Wake den Zutritt zur oberen Plattform des Leuchtturms verwehrt. Das stünde schließlich nur einem echten Wärter zu. Lange dauert es nicht, bis klar wird, dass sich dort oben weit mehr als nur eine drehende Lampe befindet.

Eggers kombiniert die erzählerische Prämisse sowie die stilsichere Inszenierung von Stanley Kubricks The Shining mit dem tiefenpsychologischen Mind-Fucking eines David Lynch. Anhänger von Sigmund Freuds Psychoanalyse dürften hier ihre helle Freude haben, denn Der Leuchtturm bedient sich ausgiebig und unverkennbar an sexuell konnotierten Symbolen, zieht keine klaren Grenzen zwischen Vision, Traum und Realität – und lässt sich problemlos als knapp zweistündige Abhandlung des Ödipuskonflikts lesen. Solches Hintergrundwissen ist jedoch nicht nötig, um Der Leuchtturm als Horrorerfahrung zu genießen. Denn bereits nach wenigen Minuten entfalten seine Bilder und das Sounddesign (das unablässig dröhnende Nebelhorn ist eine kleine cineastische Großtat) eine Sogwirkung, die ihresgleichen suchen.

Womit sich Der Leuchtturm von Eggers erstem Werk abgrenzt, ist sein – Überraschung – Humor. Der alte Thomas Wake hat nicht nur ein Vorliebe für markige Sprüche, sondern schert sich auch nicht um Etikette, weshalb ihm regelmäßig der ein oder andere Darmwind entfleucht. Auch die Dialoge haben einige unerwartete Pointen zu bieten, was im ersten Moment zwar die Immersion stört, sich bei genauerer Betrachtung jedoch gut in den historischen und charakterlichen Kontext einfügt. Darüber ließe sich durchaus debattieren – worüber allerdings Einigkeit herrschen dürfte, sind die Leistungen der beiden Darsteller. Robert Pattinson ist bereits fantastisch. Willem Dafoe aber ist eine Naturgewalt, die eine zweiminütige Schimpftirade in einen der beeindruckendsten Momente des Kinojahres verwandelt.

Der Leuchtturm startet am 28. November im Kino.

Bilder & Trailer: (c) Universal

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