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Hamilton (2016/2020)

Lin-Manuel Miranda, USA 2016/2020 – His name is Alexander Hamilton. Und seinen Namen kennen nur die wenigsten – im Gegensatz etwa zu Benjamin Franklin, George Washington oder Thomas Jefferson. Genau wie diese drei Männer gehörte Hamilton zu den Gründervätern der USA. Einem (nicht ganz so) neuen Broadway-Musical ist es jedoch zu verdanken, dass nun deutlich mehr Menschen seinen Namen kennenlernen. Und erst recht dank Disney+.

Dort ist vor einigen Wochen die Aufzeichnung einer Vorführung von Hamilton aus dem Jahr 2016 erschienen und hat einen kleinen Hype losgetreten. Und dem kann auch ich mich – unter leichtem Vorbehalt – anschließen. Nun gehören Musicalfilme allerdings auch zu meinen guilty pleasures und auch wenn Hamilton kein Film ist, sondern lediglich abgefilmt, ist das Ergebnis doch derart mitreißend, dynamisch und visuell beeindruckend inszeniert und geschnitten, dass man die Bühne an sich kaum wahrnimmt.

Was das zwei Stunden und 40 Minuten lange Werk aber so herausstechend macht, sind zwei Tatsachen. Erstens sind alle wichtigen und auch weniger wichtigen Rollen (mit einer Ausnahme) mit nicht-weißen Darstellerinnen und Darstellern besetzt. Zweitens besteht der Soundtrack (Sprechpassagen gibt es nicht) aus einer zeitgenössischen Mischung aus R&B, Rap, Blues, Jazz und Pop. Und die hat es – vorausgesetzt, man kann mit dieser Musik etwas anfangen – wirklich in sich.

Sicher, da sind ein paar Nummern dabei, die wie generische 08/15-Radio-Chart-Stücke anmuten, und viele feuern aus den ganz großen Pathos-Kanonen, erst recht die Balladen der weiblichen Figuren. Doch zugleich ist es verdammt erfrischend, in einem historischen Szenario solch anachronistische Musik zu erleben, durch die etwa Parlamentsdebatten zu (verdammt gut gereimten) Rap Battles und die Rückkehr von Thomas Jefferson aus dem französischen Exil zu einer schmissigen Jazz-Nummer werden. Darüber hinaus wartet Hamilton mit einigen inszenatorischen Kniffen wie Rückblenden und Traumsequenzen auf. Bester Song ist bleibt jedoch das Thema des englischen Königs Georg III., wunderbar britisch-überzeichnet gespielt vom Mindhunters-Hauptdarsteller (!) Jonathan Groff.

Ohnehin: Der komplette Cast weiß stimmlich wie schauspielerisch zu überzeugen bis zu begeistern. Allem voran Daveed Diggs (Hauptrolle in der Snowpiercer-Serie), Renée Elise Goldsberry, Leslie Odom Jr. und Phillipa Soo. Schade, dass ausgerechnet Regisseur, Texter und Hauptakteur Lin-Manuel Miranda bei der darstellerischen Leistung am schwächsten abschneidet. Immerhin sticht er mit seiner ungewöhnliche Stimmfarbe aus dem restlichen Cast positiv heraus.

Und inhaltlich? Da kann man Hamilton (wie das an einigen Stellen auch geschehen ist) vorwerfen, historische Augenwischerei zu betreiben, die Geschichte glattzubügeln und in leicht verdauliches Entertainment zu verwandeln. Wer aber mit der großen Ideologie-Gartenschere an dieses Gewächs herantritt, der handelt in voller Absicht, es bis auf die Wurzeln herunterzustutzen. Sicherlich hätten Aspekte wie Sklaverei oder der Genozid an den amerikanischen Ureinwohnern (stärker) zur Sprache gebracht müssen (Ersteres wird zumindest mit einigen Spitzen erwähnt). Doch das ist gar nicht der Punkt. Getreu der Frage, die sich die Hauptfiguren im Schlussakt stellen – „Who will tell my story?“ –, sind allein die Besetzung und die Musik von Hamilton schon politische Statements: Dass ein von Weißen Menschen geprägter und dominierter historischer Zeitabschnitt nun modern und mit einer ausschließlich nicht-Weißen Besetzung interpretiert wird, ist ein Sieg (in) der Geschichte. Kein endgültiger Sieg, beileibe nicht, es gibt noch viel zu viel zu tun. Aber es ist ein Anfang.

Bild: © Disney+

8 Kommentare zu „Hamilton (2016/2020) Hinterlasse einen Kommentar

  1. Zum Musical kann ich mich nicht äußern, kenne ich nicht und ist auch meist nicht mein Genre. Was ist aber die Intention, fast alle Rollen mit nicht-weißen Darstellern zu besetzen? Davon abgesehen, dass es halt nicht den Fakten entspricht, empfinde ich das auch als eine Art von Rassismus. Da hat man m.e. von den Falschen gelernt. 😬

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    • Nun, das ist im Prinzip eine Form kultureller/historischer Aneignung der Geschichtsschreibung der USA, an der auch einige Nicht-Weiße beteiligt waren, die aber in der Nacherzählung vollständig ausgeblendet werden. Es entspricht genau so wenig den Fakten wie die Tatsache, dass es damals noch keinen Jazz, keinen Rap und keinen Blues gab. Aber das eben ist eben Theater, und damit och weniger historische Korrektheit gebunden, als bspw. Filme.
      Zur Frage, ob das rassistisch sei, empfehle dir diese Kolumne hier von Margarete Stokowski, in der sehr gut dargelegt wird, warum es keinen Rassismus gegen Weiße gibt 😉 https://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/warum-es-keinen-sexismus-gegen-maenner-oder-rassismus-gegen-weisse-gibt-a-1236954.html

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      • Dennoch kommt es – Rassismus hin oder her – etwas seltsam an, dass hier ganz überwiegend Nicht-Weiße besetzt werden. Das fühlt sich für mich nach „heimzahlen“ an. Und was eine Frau Stokowski schreibt, mag ja dem gängigen Trend des „Anti-Weißen-Mann“ folgen, aber vielleicht sollte man eher versuchen, einander die Hand zu reichen, als noch tiefere Gräben zu schaufeln😊

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      • Natürlich, so wie es umgesetzt ist, ist es eine Form von historischer Genugtuung: Die Schwarzen wurden aus der Geschichtsschreibung getilgt, also tilgen wir jetzt auf der Bühne die Weißen aus der Geschichte.
        Worum es hier – und auch bei Frau Stokoswki geht – ist ja aber das Infragestellen etablierter Machtstrukturen. Wenn es umgekehrt wäre (eine Geschichte aus einem Schwarzen Kontext mit Weißen zu besetzen, kurz: Whitewashing), dann verstärke ich diese Strukturen nur. So wie es hier umgesetzt ist, wirkt es aber dagegen. Eben genau dieser Effekt „Warum sind dort nur Schwarze auf der Bühne?“, ist es, der erzielt werden und zum kritischen Hinterfragen anregen soll.
        Dasselbe gilt auch für die Diskussion um „Alte weiße Männer“, die für extrem wichtig halte, und nicht nur für einen „Trend“. Auch hier geht es darum, etablierte Machtstrukturen in Frage zu stellen. Es ist womöglich schwierig, dessen Notwendigkeit zu sehen, wenn man – wie ich – selbst dazu gehört. Deswegen ja der beliebte Satz: „Check your priviledges“. Und wenns traurig ist: Nur durch Händereichen wird sich wenig ändern, wie die letzten 300 Jahre gezeigt haben. Die Afromamerikaner haben sich ihre Rechte auch nicht durch Händereichen erkämpft, sondern durch entsprechende Proteste…

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  2. Das steht auch noch auf meiner Liste. Ich bin zwar nicht der größte Musical Fan, aber bei Hamilton habe ich das Gefühl, das muss man mal gesehen haben, weil einfach jeder darüber spricht 😅

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