The Nightingale (2018)

Jennifer Kent, AUS 2018 – Tasmanien im 18. Jahrhundert. In einer englischen Strafkolonie herrscht Leutnant Hawkins (Sam Claflin) mit unbarmherziger Hand. Im Mittelpunkt von The Nightingale steht jedoch nicht er, sondern die Irin Claire (Aisling Franciosi), die sich unlängst ihre Freiheit erarbeitet und eine kleine Familie gegründet hat. Hawkins will sie aber nicht freigeben, verfügt stattdessen über sie und vergewaltigt sie. Eines Abends steht er in Claires Wohnung – es folgt eine schicksalhafte, blutige Nacht, nach der Claire zu einem Rachefeldzug gegen ihren Peiniger aufbricht.
Ohne Fährtenleser wird sie im Busch nicht weit kommen. Nur widerwillig verpflichtet sie deshalb den indigenen Fährtenleser Billy (Baykali Ganambarr), der sie durch die Wildnis und auf den Pfad der Vergeltung für ihre körperlichen und seelischen Qualen führen soll. Ihrem Begleiter steht sie anfangs mit aller Verachtung, die der europäische Rassismus hergibt, gegenüber. Als beide feststellen, dass sie ein gemeinsames Feindbild haben – England –, glätten sich die Wogen jedoch langsam.
Der zweite Film von Jennifer Kent (Der Babadook) lotet abermals psychologische (und diesmal auch körperliche) Grenzerfahrungen einer Frau aus, die sich zur Wehr setzt. Diesmal jedoch als Rape-and-Revenge-Plot im Gewand eines historischen Settings, in dem die Hauptfigur allein aufgrund ihrer Abstammung und ihres Geschlechts zunächst Freiwild für die Männerwelt ist. Wenn Claire dann endlich zur Rache ansetzen darf, spürt man deutlich die Genugtuung, die Kent ihrer Protagonistin verschaffen will. Nur kostet sie diese Momente etwas zu sehr aus: Der Gore-Faktor ist angemessen unangenehm – aber auch unangemessen glorifizierend. Der Wandel von der stillschweigenden Bediensteten zum blutigen Racheengel erfolgt trotz Claires Martyrium recht abrupt. Und so sehr sich Kent auch bemüht, die Kultur der Eingeborenen zu würdigen: Bei der Charakterzeichnung von Billy kann sie das ein oder andere Klischee nicht umgehen.
The Nightingale ist mit 136 Minuten zudem spürbar lang(atmig). Das macht ihn nicht zu einem schlechten Film. Aber zu einem, der sich ein wenig zu gewollt anfühlt und der sein (Schock-)Potential nach der ersten halben Stunde verspielt.
Bild: © Koch Films
Oha… das klingt ja interessant. Vom Babadook hin zu Gore-Rachefilm. Mal was anderes. Aber muss ich mir mal vormerken.
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Ich habe The Nightingale damals auf dem Sundance Film Festival gesehen und war nach meiner Sichtung nur wenig begeistert. Deinen Kommentar zur Gewaltdarstellung kann ich nur zustimmen. Es ist so, also würde der Film mit den gezeigten Gräultaten den Zuschauer abschrecken wollen, nur um gegen Ende den plumpen Racheakt zu würdigen. Als gäbe es keine friedliche Lösung- die Beziehung zwischen den Protagonisten muss platonischer Natur bleiben.
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Dann sind wir uns ja bei der Gewalt einig. Was die Beziehung zwischen den Hauptfiguren betrifft: das fand ich es tatsächlich gut, dass sie platonisch bleibt bzw. dass eine mögliche Romanze nur ganz dezent angedeutet wird. Als sie sich begegnen, hassen sie sich ja. Wenn das am Ende in einer Liebesbeziehung geendet wäre, wären noch mehr filmische Klischees bedient worden…
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OK, vielleicht wäre eine Liebesbeziehung zwischen den Beiden zum Kitsch verkommen und der platonische Status wird den Figuren gerechter. Was mir jedoch deutlich Missfällt, ist das Billy gegen Ende zum Mordauftragsgehilfen für Clare verkommt. Als wäre er nur der Dienstleister für sie.
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