Der letzte Mieter (2020)
Georg Erler, DEU 2020 – Dem deutschen Kino wird gern vorgeworfen, sich nur für zwei Themen zu interessieren: die (deutsch-)deutsche Vergangenheit und luftig-leichte Komödien im Familienkreis. Es geht aber auch anders: Dass aktuelle gesellschaftspolitische Themen aufgegriffen und in ein Genre-Kostüm gesteckt werden, ist zwar nach wie vor eine Seltenheit, kann aber funktionieren, wie Georg Erlers hervorragendes Spielfilmdebüt Der letzte Mieter beweist.
In dem nimmt sich Erler dem omnipräsenten Problem der Gentrifizierung an und strickt daraus einen Kriminalthriller, der zwar die ein oder andere Baustelle (pun not intended) hat, in Summe aber eine packende, unterhaltsame und aufwühlende Kinoerfahrung darstellt. Im Zentrum steht der Heizungsmechaniker Tobias Heine (Matthias Ziesing), der tagtäglich in den Wohnung der wohlhabenden Zugezogenen (auch eine Schwäbin taucht im Prolog auf – ein Schalk, wer dabei an Klischees denkt) Probleme beseitigt, während er selbst mit persönlichen zu kämpfen hat.
Das größte davon: Sein Vater Dietmar (wunderbar intensiv und authentisch: Wolfgang Packhäuser) soll aus der Wohnung raus, in der er seit Jahrzehnten lebt, wehrt sich aber mit Händen und Füßen dagegen. Aus dem ruinösen Altbau soll – wie aus dem Rest des Straßenzuges – eine Anlage mit topsanierten Luxus-Appartements werden.
Am Tag der Übergabe fährt Tobias bei seinem Vater vorbei und findet in dessen Wohnung nicht nur seinen Erzeuger, sondern auch den Vermieter (zugleich seinen Chef, gespielt von Moritz Heidelbach) vor. Offenbar wollten beide eine Art Vereinbarung schließen, zu der es nun aber nicht mehr kommt. Denn nach wenigen Dialogzeilen, in denen Tobias seinem Vater gesteht, als Auftragskraft für die Vermietung zu arbeiten, kommt es zum Eklat. Was genau geschieht, soll nicht verraten werden – außer, dass eine Waffe im Spiel ist und dass schon bald das SEK anrückt. Auch eine junge Polizistin (Pegah Ferydoni) wird unfreiwillig die in Situation involviert.

Was anfangs noch konfus und/oder überzeichnet erscheint, ergibt jedoch mehr und mehr Sinn. Erler versorgt sein Publikum – in bester Thriller-Manier – nach und nach mit inhaltlichen Puzzlestücken, die allmählich ein großes, schlüssiges Gesamtbild ergeben. Sei es der desolate Zustand der Wohnung, in der Fenster zugemauert wurden und Löcher in der Decke prangen, oder die Enthüllungen über Tobias‘ Vater sowie die Verwaltung respektive den Vermieter, der sich einiges zu Schulden hat kommen lassen: In Der letzte Mieter stecken einige überraschende Twists, die die bis dato vorherrschenden Macht- und Moralverhältnisse teils völlig auf links drehen und dem Zuschauer eine Neubewertung der Lage abverlangen. Und so wird aus der scheinbaren Wahnsinnstat eines Mannes am Ende eine nachvollziehbare Kette von Kurzschlussreaktionen.
Leider schwankt ein Großteil der darstellerischen Leistungen (außer wie erwähnt die von Wolfgang Packhäuser) zwischen überambitioniert und steif. Heines Wohnung ist zudem ein ziemlicher Extremfall und damit wenig repräsentativ, um das Thema Gentrifizierung in Gänze zu sezieren. Und auch das grande finale überhebt sich doch arg, wirkt (trotz der schlussendlichen Auflösung) zu gewollt. Doch bei den wichtigsten Genre-Komponenten – dem Spannungsaufbau, den Wendungen und der Intensität, die innerhalb dieses Quasi-Kammerstücks aufgebaut wird – macht Der letzte Mieter sehr, sehr vieles richtig.
Vor allem aber ist der Film ein Musterbeispiel dafür, dass Genre und politisch-gesellschaftskritische Ansprüche sich nicht widersprechen (müssen), auch nicht im deutschen Kino. Das elende Thema Gentrifizierung – Wohnraum also zu Finanzspekulationsobjekten zu machen, Altmieter aus ihren Wohnungen zu drängen, die Häuser einer Luxuskur unterziehen und damit letztlich Gesellschafts- und Kulturräume zu zerstören – wird mit Der letzte Mieter jedenfalls gleichsam unterhaltsam wie klug auf die große Leinwand gebracht.
Bild & Trailer: © DualFilm GmbH
Läuft leider nicht hier in der Nähe, so werde ich den wohl erst gucken, wenn der für 0,99€ bei Prime ist.
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Ach, für den kann man auch 3,99 ausgeben 😉
Ist echt schade, dass der in so wenigen Kinos lief. Hier in Leipzig wurde er auch nur in einem Kino gespielt – und ich war ganz alleine im Saal
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Ich weiß nicht, was gerade in meinem Stammarthousekino los ist. Die zeigen die ganzen deutschen Filme nicht, ob den hier, Kokon oder Kopfplatzen, die ich mir alle angeguckt hätte. Muss Mal gucken, ob ich vor Tenet nochmal ins Kino gehe, aber drei Filme sind mir vorenthalten worden, werden aber bis Jahresfrist noch geguckt.
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Dabei sind die vergangenen Wochen eigentlich DIE Zeit für kleine Arthouse-Produktionen gewesen. Echt schade, dass da so manches unter den Tisch gefallen ist
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