Sorry We Missed You (2019)

Ken Loach, UK/FRA/BEL 2019 – Die berufliche Selbstständigkeit klingt doch erst mal verlockend – so auch für Ricky Turner (Kris Hitchen), der sich zu Beginn von Sorry We Missed You für eben jenen Karriereschritt entscheidet. Als selbstständiger Paketlieferfahrer will der Vater einer vierköpfigen Familie endlich ein besseres Einkommen erzielen, das für ein gutes Leben reicht. Doch schon im Bewerbungsgespräch zeichnet sich ab, dass er sich hier in die pure Ausbeutung begibt: Für den Lieferwagen muss er aus eigener Tasche zahlen, betriebliche Versicherungen gibt es keine, und will er einen freien Tag haben – etwa wenn es zuhause mal Probleme gibt -, muss er selbst für eine Vertretung sorgen, ansonsten drohen Bußgelder. Derlei private Probleme gibt es in der Tat immer häufiger, insbesondere bei seinem Sohn (Rhys Stone), der inmitten der Pubertät steckt und sich zunehmend weniger für die Schule, dafür für kleinkriminelle Machenschaften interessiert. Hinzu kommt, dass auch Rickys Frau (Debbie Honeywood) als ambulanter Pflegekraft das Wasser beruflich bis zum Hals steht: Ein stressiger Tag jagt den nächsten. Die vermeintliche Selbstständigkeit Rickys entwickelt sich allmählich zu einer Spirale von Zwang und Verpflichtungen, aus der es kein Entkommen zu geben scheint.
Seit mehr als 50 Jahren interessiert sich Regisseur und Autor Ken Loach für die alltäglichen Probleme des britischen Arbeitermilieus. Von diesem Schwerpunkt rückt er auch in Sorry We Missed You nicht ab und konzentriert sich dabei abermals auf die Probleme, die ein ausbeuterisches,neoliberales Wirtschaftssystem auf eine der letzten Bastionen des sozialen Zusammenhalts – die Familie – hat. Denn die bröselt in diesem Film unter zunehmendem Druck langsam auseinander, auch wenn es immer wieder lichte zwischenmenschliche Momente gibt. Skript und Bildsprache schaffen eine intime Nähe zu diesen beeindruckend ambivalenten Figuren, die so nahbar wie fehlerbehaftet, kurzum: menschlich sind. Das Ende mag nicht glücklich stimmen – ist gerade deshalb aber so wirkungsvoll.
Bild: © eOne