Film gesehen #193

Diese Woche mit Der Brotverdiener, Schräger als Fiktion und Short Term 12.

Der Brotverdiener (The Breadwinner, Nora Twomey, USA 2017)
Eher beiläufig tauchte dieser Zeichentrickfilm in meiner Netflixliste als Vorschlag auf. Was für ein Glück, dass ich ihn angenommen habe, denn andernfalls hätte ich nichts weniger als eines der intensivsten und berührendsten Familiendramen der letzten Jahre verpasst. Der Brotverdiener schildert die tragischen Ereignisse, in die eine notleidende Familie im Kabul Anfang der 2000er gerät. Weil der Vater aufgrund einer Nichtigkeit von den Taliban verschleppt wird, muss die jüngste Tochter die Identität eines Jungen annehmen, um Mutter, Schwester und den zweijährigen Bruder über Wasser zu halten. Zwischendurch wird diese kafkaeske Geschichte immer wieder durch eine zweite, metaphorische Erzählung unterbrochen, die einen angenehmen Stil- und Atmosphärenwechsel mit sich bringt, was im besten Sinne an Kubo erinnert. Aber nicht nur das, sondern vor allem die Ernsthaftigkeit der Themen weist Parallelen zu den Werken der Animationsschmiede Laika auf – außer, dass hier der Humor fehlt. Stattdessen sind es ein paar wichtige, authentische Momente des Glücks, die die bedrückende Stimmung gelegentlich durchbrechen und diesen Film zu einem ebenso berührenden wie feinfühligen und intelligentem Film machen. Eine echte Perle.
imdb / Trailer

Schräger als Fiktion (Stranger than Fiction, Marc Forster, USA 2006)
Den Plot dieses Films in wenigen Worten zusammenzufassen, ist ein Ding der Unmöglichkeit. Ich versuch’s trotzdem mal: Der Steuerfachangestellte Harold Crick (Will Ferrell) – ein leicht autistischer Einzelgänger mit einer Manie für Zahlen – beginnt eines Morgens, eine Stimme zu hören. Es ist die Stimme einer Autorin, in deren jüngster Geschichte Crick dem Anschein nach der Protagonist ist – und dem sie einen baldigen Tod prophezeit. Zusammen mit einem Literaturprofessor (Dustin Hoffman) versucht Crick nun herauszufinden, wer diese Autorin ist und wie er sein Schicksal ändern kann. Schräger als Fiktion ist eine kluge Komödie mit einer tiefen Metaebene, die sich um das Wesen des Erzählens dreht -und den Determinismus, dem wir alle in unserem Leben vermeintlich unterworfen sind. Trotz der Schwere dieser Themen wird der Film jedoch nie prätentiös oder verkopft, sondern bleibt stets angenehm leicht, was insbesondere seinen liebenswert-verschrobenen Figuren zu verdanken ist. Kein Meisterstück – dafür ist er am Ende dann doch zu vorhersehbar – aber dennoch sehr sehenswert.
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Short Term 12 – Stille Helden (Short Term 12, Destin Daniel Cretton, USA 2013)
Und noch ein Film, der sich einem schwierigen Thema widmet: Sozialarbeitern, die mit misshandelten, drogensüchtigen und Kindern mit anderen schwierigen Biografien arbeiten. Und dabei gelingt ihm das Kunststück, konstant feinfühlig, auf Augenhöhe und respektvoll zu bleiben. Der Cast (unter anderem die fantastische Brie Larson, aber auch viele junge Talente) ist durchgängig großartig. Mühelos changiert Short Term 12 zwischen liebevoll-menschlichen und tragischen Momenten, verknüpft emotionale Höhe- und Tiefpunkte miteinander, als wäre es das selbstverständlichste auf der Welt. Und dann gibt es da noch diese zwei, drei unheimlich beeindruckenden Momente (allem voran eine Szene, in der ein Rap beinahe zu Tränen rührt), die diesen Film über alle Zweifel erhaben machen. Short Term 12 verlässt sich nicht auf einfache Lösungen oder eine Moral, die von oben herab blickt, sondern ist zutiefst menschlich.
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7 Antworten zu „Film gesehen #193”.

  1. Avatar von Ma-Go
    Ma-Go

    Über „Short Term 12“ habe ich neulich auch etwas geschrieben. Sehr guter Film 🙂

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    1. Avatar von christianneffe

      Wie kürzlich denn? Hänge mit Lesen leider immer hinterher 😅

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      1. Avatar von Ma-Go
        Ma-Go

        Glaube im letzten Logbucheintrag. Wann auch immer das war. 😁

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  2. Avatar von donpozuelo

    „Breadwinner“ wurde mir jetzt auch schon öfter vorgeschlagen, will ich demnächst unbedingt mal gucken.

    „Short Term 12“ ist großartig. Der geht ganz schön an die Nieren, ist aber toll gemacht.

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    1. Avatar von christianneffe

      „Breadwinner“ ist mir allerdings noch mehr an die Nieren gegangen -trotz des Stils.

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  3. Avatar von Sunshine Cleaning | audiovisuell

    […] und das alles in einer derart unbeschwerten Atmosphäre, die der von Little Miss Sunshine oder Short Term 12 in nichts nachsteht. Tatsächlich – und diese Kritik übe ich wirklich selten – […]

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  4. Avatar von Kinotagesstätte #37: Independent Filme – audiovisuell

    […] Filme“ widmen. Zehn Beispiele und Empfehlungen warten auf euch, darunter der Hausaufgabenfilm Short Term 12, der Kultklassiker Easy Rider, Martin McDonaghs Erstlingswerk Brügge sehen… und sterben? und […]

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