Kritik: „Maria Magdalena“

Ruhiger und Pathos-armer Bibelfilm mit einem großartigen Hauptdarsteller-Paar.
Maria Magdalena (Mary Magdalene, Garth Davis, USA/UK/AUS 2018)
Der Perspektivwechsel, den der neue Film von Regisseur Garth Davis (Lion) vollzieht, ist fundamental: Werden Bibelgeschichten in der Regel von Männern dominiert, vollbringt Maria Madgalena nicht nur das Novum, eine Frau in den Mittelpunkt zu rücken, sondern tut dies auch noch anhand einer Figur, die fast 2000 Jahre lang verleugnet und diffamiert wurde. Dennoch ist Maria Magdalena mehr als ein Film, der einzig nach historischer Gerechtigkeit strebt.
Tatsächlich gelingt es dem Film durch die Fokus-Verlagerung hin zu einer scheinbaren Nebenfigur des Neuen Testaments einen ganz anderen Blick auf die biblische und historische Figur des Jesus von Nazareth zu werfen. Dem beginnt Maria (Rooney Mara) zu folgen, nachdem ihr bisheriges Leben sie an den Rande einer Depression geführt hat. Im Judäa des Jahres 33 sind es die Frauen, die auf dem Feld arbeiten und die Fischernetze einholen müssen, die Kinder gebären und arrangierte Ehen eingehen müssen – aber nicht einmal beten können, wann und wo sie wollen. Als sich Maria einer Eheschließung verweigert, versucht die Familie sie durch einen Exorzismus zur Besinnung zu rufen, was die junge Frau endgültig von ihrer Verwandtschaft entrückt.
Hoffnung, Linderung und Anerkennung erfährt sie erst durch den Heiler und Prediger Jesus (Joaquin Phoenix), der in ihrem Dorf Station macht und dem sie sich schließlich anschließt. Zwar stehen auch einige seiner Apostel (darunter: Chiwetel Ejiofor als Petrus) Maria ablehnend gegenüber. Doch die zurückhaltende, meist schweigende junge Frau findet endlich einen Sinn in ihrem Leben: den Schwachen und Kranken zu helfen.
Zwar bildet die Figur des Jesus von Nazareth – wie sollte es anders sein – den zentralen Punkt der Handlung. Doch ist es nicht er, der als erzählerischer Identifikationspunkt dient, sondern die eigentliche Protagonistin Maria Madgalena, über die Zugang zum Prediger geschaffen wird. Wobei dieser Zugang aufgrund von Jesus‘ Unnahbarkeit schwer fällt. Mit Joaquin Phoenix fällt diese Rolle jedoch einem Schauspieler in den Schoß, der imstande ist, seine Figur trotz aller Zurückhaltung mit derart viel Präsenz, Gewicht und Charisma zu versehen, dass man sich seiner Anziehungskraft selbst als Atheist nicht entziehen kann.
Phoenix verleiht seinem Jesus den Charakter eines entrückten, autistischen Sozialrevoluzzers, der Menschen inspiriert und mitreißt, dessen nachdenkliche Blicke und dessen wenige, bedeutungsschwere Sätze etwas faszinierend-esoterisches haben. Dessen Worte Hoffnung und Linderung geben. Nachvollziehbar, dass eine leidende und unterdrückte Bevölkerung diesem Mann gefolgt ist. Die gezeigten Wundertaten werden nie in den Stand des Übernatürlichen erhoben und bleiben (mit etwas Fantasie) irdisch erklärbar.
Ihm gegenüber steht eine zurückhaltende Rooney Mara, deren subtiles Spiel an der Oberfläche nur wenige Emotionen erkennen lässt und die über weite Strecken auch äußert passiv agiert. Im letzten Drittel jedoch blüht ihre Rolle auf, was allerdings in einer etwas überflüssigen, weil belehrenden Texttafel vor dem Abspann endet. Das Gegenteil dessen bildet die Rolle des Judas (Tahar Radim), einem überschwänglichen Anhänger, der hier entgegen des gängigen Bildes nicht als feiger Verräter inszeniert wird, sondern der aufgrund nachvollziehbarer Motive handelt und der die eigentliche tragische Figur dieser Geschichte darstellt.
Nichtsdestotrotz ist es das Zusammenspiel von Mara und Phoenix, das den Film bestimmt und ihm in Verbindung mit der entsättigten, tristen Optik und den kargen Landschaften eine überaus getragene Anmutung verleiht. Man kann das auch anders bewerten, nämlich dass Maria Magdalena langsam, gar einschläfernd sei. Wenn man jedoch in der Lage ist, die Stille auszuhalten, in der sich die Figuren immer wieder verlieren während sie ihre Blicke austauschen, entfaltet der Film eine geradezu meditative Atmosphäre. Pathos hingegen keimt nur an wenigen Stellen auf.
Fazit
Maria Magdalena ist so ziemlich das genaue Gegenteil dessen, was man sich unter einem Bibelfilm gemeinhin vorstellt: Statt Pathos, Epik und bekehrender Worte sind es vor allem die leisen und subtilen Töne, die diesen Film bestimmen. Garth Davis Film fordert Geduld, belohnt die aber mit einer intensiven, nuancierten Handlung und kann so selbst einer 2000 Jahre alten Geschichte eine neue Facette abringen.
Bilder & Trailer: (c) Universal
Den wollte ich mit einer Freundin (Religionslehrerin) unbedingt im Kino sehen. Lief nur nirgends…
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Oh, das würde mich mal wirklich interessieren, wie ihn jemand vom Fach einschätzt. Ein paar Freiheiten nimmt er sich ja schon, aber sowas sollte ja erlaubt sein 😉
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