Capernaum – Stadt der Hoffnung

Capharnaüm, Nadine Labaki, LBN 2018 – Mehr als sechs Jahre lang hat Regisseurin Nadine Labaki an diesem Film gearbeitet, fing das Geschehen auf den Straßen im Libanon und in den Hinterhöfen Beiruts ein, setzte fast ausschließlich auf Laiendarsteller und schliff aus den entstandenen 520 Stunden Rohmaterial schließlich diesen filmischen Diamanten: Capernaum – Stadt der Hoffnung. Wie groß das Elend im abgebildeten Milieu ist, zeigt schon die Eingangssequenz, die als erste Hälfte einer narrativen Klammer fungiert: Zain, ein kleiner Junge – Alter unbekannt, da es keine Geburtsurkunde gibt – verklagt seine Eltern. Der Vorwurf: Sie haben ihn in diese Welt gesetzt.

Der Film schildert fortan, wie Zain in diese Lage geraten ist. Wie er und seine Geschwister zu Hause vernachlässigt werden, tagsüber Saft verkaufen müssen und nicht die Schule besuchen dürfen. Wie der kleine Kerl von zu Hause ausreißt, nachdem seine kleine Schwester mit einen drei mal so alten Ladenbesitzer verheiratet wird. Wie er Obdach bei einer illegal Eingewanderten findet und sich um ihr Neugeborenes kümmert, während sie Geld für eine Reise nach Europa erschuftet. Wie er irgendwann selbst auf die Straße geht, um in Wasser aufgelöste Opiate zu verkaufen.

Wer währenddessen nicht mindestens drei Mal einen Kloß im Hals hat, muss innerlich tot sein. Die Handlung von Capernaum ist herzergreifend bis -zerreißend, die Situationen, die Protagonisten und all das, was sie tun – sie zeigen mehr als genug Gründe dafür, warum Menschen aus dem Nahen Osten die Flucht vor Repression und Armut ergreifen und ihr Heil in Europa suchen. Die Fehler liegen im Kleinen (in den Familien) wie auch im Großen (im System). Und doch begnügt sich dieser Film nie mit einfachen Antworten oder Schuldzuweisungen.

Manch einer bezeichnete das bereits als filmischen Elendstourismus – doch dieser Film ist viel zu sensibel und ambivalent, um sich diesen Vorwurf gefallen zu lassen. Ja, die Gratwanderung zwischen Dokumentation und Fiktion ist eine schwierige und man sollte nicht den Fehler begehen, zu glauben, dass es im Libanon überall so zugeht, wie in Capernaum gezeigt. Doch angesichts der Flüchtlingsmassen, die das kleine Land in den vergangenen Jahren aufgenommen hat, ist es wichtig, zu dokumentieren, was dort schief läuft – und warum der Westen eine nicht zu vernachlässigende Verantwortung trägt, dieses Leid zu lindern.

Der Star des Ganzen ist Hauptdarsteller Zain Al Rafeea, der seine Rolle mit so viel Authentizität und Selbstbewusstsein auflädt, dass er dafür eigentlich einen Oscar hätte bekommen müssen. Doch auch die anderen Darsteller*innen wissen zu begeistern.

imdb / Trailer

Bild: © Alamode Filmverleih


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