Tiger King, Eric Goode & Rebecca Chaiklin, USA 2020 – True-Crime-Dokuformate haben sich in den vergangenen Jahren – insbesondere auf Netflix – von der Nische zu einem wahren Hype-Phänomen entwickelt. Trotz mehrere Anläufe bin ich mit Serien wie Making a Murderer oder Der Fall des Gabriel Fernandez aber nie warm geworden. Zu gewollt wirkte die Dramaturgie, zu lückenhaft und selektiv schien die Aufarbeitung der Fakten zu sein. Der neuen Hypeserie Tiger King (im Deutschen mit dem furchtbaren Titel Großkatzen und ihre Raubtiere verschandelt) habe ich dennoch ein Chance gegeben. Und tatsächlich konnte mich die sieben Episoden umfassende Dokureihe ab der zweiten Folge fesseln. Denn das, was hier aufgearbeitet wird, scheint einfach zu absurd, um wahr zu sein.
Nun ist gerade dies einer von vielen Leitsätzen im Journalismus: Eine Geschichte, die zu gut klingt, um wahr zu sein, ist oftmals genau dies. Und es würde mich nicht verwundern, wenn sich bald herausstellt, dass die Geschichte des privaten Wildtierpark-Besitzers Joe Exotic ein einziger großer Hoax ist. Dagegen sprechen allerdings die zahlreichen Fernseh- und Zeitungsreportagen, die einen Teil des Materials von Tiger King bilden. Der andere Teil besteht aus Aufnahmen des Regie-Duos Eric Goode und Rebecca Chaiklin, die Joe Exotic ursprünglich porträtieren wollten, um die Misshandlung der Hunderten Tiere zu dokumentieren, die sich im Besitz dieses exzentrischen, Vokuhila-tragenden, polygamen und homosexuellen Großkatzenbesitzers befinden. Was sie bekamen, war ein jahrelanger Kleinkrieg mit der vorgeblichen Tierschützerin Carole Baskin, die ebenfalls einen Zoo für Großkatzen besitzt, dort allerdings keine Zucht betreibt und keine Jungtiere als Kuscheltiere missbraucht.
Das alles klingt auf dem Papier zunächst grundlegend spannend, wenngleich zunächst wenig aufregend. Doch bald schon überschlagen sich die Ereignisse: Feuer im Zoo, Fehden und Komplotte zwischen Kleinkriminellen und anderen Wildtierpark-Besitzern, ein Auftragsmord und unzählige weitere schockierende Ereignisse bilden einen geradezu süchtig machenden Spannungsbogen, der vor Wendungen und überraschenden Enthüllungen nur so strotzt und jedes fiktionale Drehbuch wie kalten Kaffee aussehen lässt. Das ist die größte Stärke von Tiger King – zugleich aber auch seine größte Schwäche. Denn im gleichen Maße, wie die Dramaturgie mitreißend ist, drängt sich parallel das Gefühl auf, die Produzenten halten bewusst Informationen zurück, theoretisieren und spekulieren (beziehungsweise lassen dies ihre Protagonisten tun) und sind in allererster Linie an der Extravaganz der porträtierten Personen interessiert.
Einige grundlegenden Fragen, die sich geradezu aufdrängen, werden deshalb nur angeschnitten oder gar nicht erst beleuchtet. Wie sieht es etwa mit dem Tierschutz im Zoo von Carole Baskin aus? Woher hatte Joe Exotic all das Geld, um seine ersten Tiere anzuschaffen? Wo bekam er die eigentlich her? Und was ist aus ihnen geworden? Gut möglich, dass es Antworten auf solche und weitere Fragen gab, sie zugunsten der Dramaturgie jedoch aus der Serie gestrichen wurden. Zumal man sich bei einigen, ziemlich intimen Aufnahmen fragt, wie diese eigentlich zustande gekommen sind, wer sie gefilmt hat und wie sich das alles juristisch verhält, Stichwort: Persönlichkeitsrecht bei Aufnahmen von versteckten Kameras. Oder Verleumdung.
Immer wieder hat man deshalb das Gefühl, Tiger King will das Publikum an der Nase herumführen und ist weniger an der Aufklärung von Missständen als an einer möglichst spektakulären Erzählung interessiert. Letzteres gelingt der Serie dafür umso effektiver. Immerhin dafür lohnt sich ein Blick.
Bilder: © Netflix
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